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Geschichte der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Deutschland - Ein virtuelles Museum - Teil 1

 

Was bedeutet eigentlich Arbeiterbewegung?


Wer anfängt, sich für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und international zu interessieren, lernt als erstes, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter vornehmlich in Parteien organisiert waren, in sog. „Arbeiterparteien“. In Deutschland waren dies die SPD und die KPD. Schon bald fallen bei näherem Hinsehen noch weitere Parteien ins Auge, z.B. die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (KAPD) oder später die „Sozialistische Arbeiterpartei“ (SAP). Und wie selbstverständlich werden bei der Definition des Begriffes „Arbeiterbewegung“ die Parteien in den Vordergrund gestellt. Das gleiche gilt für die Zentralgewerkschaften des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB).


Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass diese Institutionen weniger mit Bewegung im eigentlichen Sinne zu tun hatten, als mit Regulierung und Disziplinierung der Arbeiterbewegung, ganz im Interesse der privaten oder staatlichen Kapitaleigner. Wenn wir also von der „Arbeiterbewegung“ als Bewegung sprechen, so können wir damit nur die proletarischen Basisinitiativen meinen, welche unter Einsatz von Gesundheit und Leben versuchten, den Klassenkampf voranzutreiben. Das können im einzelnen auch SPD oder KPD-Mitglieder gewesen sein. Auffallend hierbei ist, dass sie mit konsequentem Handeln schon bald den Widerspruch ihrer Führungsgremien in Parteien und Zentralgewerkschaften herausforderten. Wir wollen hier „Bewegung“ als etwas organisch gewachsenes verstehen, d.h. nicht als Reflex einer Order vom Partei- oder Gewerkschaftsvorstand, sondern als Aktivität von frei organisierten Lohnabhängigen im Bewusstsein völliger Eigenverantwortung unter Umgehung zentralistischer Organisationen. Viel Kraft und Energie lässt sich absorbieren von der Beschäftigung mit Parteistreitigkeiten, großen Persönlichkeiten („Ja, wenn der Bebel 1914 noch gelebt hätte...“) und diversen Auslegungen marxistischer Literatur von Bernstein bis Lenin. Und das alles, um festzustellen, dass die Arbeiterbewegungen, wie sie hier definiert werden, in den einzelnen Ländern erstarrten. Wer nun diesen Erkenntnisprozess wesentlich und legitim abkürzen möchte, schaut am besten dorthin, wo es tatsächlich auch organisierte Bewegung von Arbeitern gegeben hat, jenseits marxistischer Doktrinen und parteipolitischer Verblendung. Und tatsächlich gibt es da etwas zu entdecken. Die Arbeiterbewegung mit eigenständiger Organisationsform sind in Deutschland zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen vor allem bei den Unionisten/Rätekommunisten und bei den Syndikalisten/Anarcho-Syndikalisten zu finden. Hier soll es im folgenden um die Syndikalisten und Anarcho-Syndikalisten gehen, welche in Deutschland nicht nur eine bemerkenswerte Ideenbewegung darstellte, sondern Anfang der zwanziger Jahre auch als eine proletarische Massenbewegung gekennzeichnet werden kann, welche unter Zeitgenossen einen sehr hohen Bekanntheitsgrad erlangte, heute jedoch in Vergessenheit geraten ist.

 

Dieser Text ist eine Zusammenstellung folgender Beiträge
 

Gerhard Aigte: Die Entwicklung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung Deutschlands in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1918-1929), Bremen 2005
 

Helge Döhring: Zur Geschichte des Anarcho-Syndikalismus in Württemberg 1933 bis 1960, unveröffentlicht
 

Helge Döhring: Syndikalismus nach 1945, Teil 1, in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven, Bremen 2005
 

Helge Döhring/Martin Veith: Syndikalismus nach 1945 - Teil 2, in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven, Bremen 2005
 

Helge Döhring: Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland – Eine Einführung, in Jürgen Mümken: Anarchosyndikalismus an der Fulda. Die FAUD in Kassel und im Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus, Frankfurt/M. 2004
 

FAU-Bremen: Kurze Einführung in die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus und der FAU-IAA, Bremen 1998
 

Martin Veith: Anarchismus in Deutschland 1945-1960. Buchbesprechung: Hans Jürgen Degen: „Anarchismus in Deutschland 1945 – 1960. Die Föderation Freiheitlicher Sozialisten“, in: Direkte Aktion, Nr.153 September/Oktober 2002

Diese Originaltexte wurden zum Teil umgeändert, damit sie sich besser aneinanderfügen. Die Zitate zur Geschichte nach 1945 stammen aus dem sehr lesenswerten Buch von Hans Jürgen Degen: Anarchismus in Deutschland (1945-1960). Die Föderation Freiheitlicher Sozialisten, Ulm 2002

 

 

Die Entwicklung der lokalistischen Opposition innerhalb des zentralistischen Gewerkschaftsverbandes.

 

Obgleich die syndikalistischen Tendenzen in der deutschen Arbeiterbewegung erst nach dem Weltkriege größere Bedeutung erlangt haben und erst nach der Revolution der Ausdruck „Syndikalisten“ zur offiziellen Bezeichnung der Anhänger einer solchen Bewegung erhoben wurde, bestand doch schon vor und während des Krieges eine Richtung, die dem französischen revolutionären Syndikalismus ungefähr entsprach. Diese bildete in ihrer ersten Entwicklungsstufe eine Oppositionsgruppe innerhalb der zentralistischen Gewerkschaftsverbände. Deshalb erweist es sich als zweckmäßig, zunächst die Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung insbesondere die der sozialdemokratischen Gewerkschaften zu verfolgen.


Die Anfänge der deutschen Gewerkschaftsbewegung fallen in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit der Aufhebung des Koalitionsverbotes für Preußen im Jahre 1867 und für ganz Deutschland im Jahre 1869 herrschte die lang ersehnte, wenn auch beschränkte Vereinigungsfreiheit, die der Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung den Weg frei machte. Im Jahre 1868 gründete Schweitzer als erster einen Gewerkschaftsverband, der in engen Zusammenhang mit dem Lassalleanischen Allgemeinen Arbeiter- Verein trat. Auch Hirsch- Duncker errichteten in diesem Jahre die nach ihnen benannten wirtschaftsfriedlichen Gewerkschaften. Etwas später entstanden noch besondere gewerkschaftliche Gruppen, wie die christlich- nationalen und andere konfessionelle Arbeitervereine. In diese Zeit fallen auch die Gründungen von Gewerkschaften durch die Eisenacher Sozialdemokratie, deren Aufbau zentralistisch gestaltet wurde. – Schon bei der Errichtung dieser Verbände bestanden einzelne Gruppen, die das zentralistische Organisationsprinzip ablehnten und einen föderativen, auf sozialistischer Grundlage aufgebauten Organismus befürworteten: Die Lokalisten, die jedoch zu jener Zeit noch von geringer Bedeutung waren.

 

Die Entwicklung dieser freien Gewerkschaften und ihr weiterer Ausbau im Sinne des Zentralismus wurde durch das Sozialistengesetz von 1878 gehemmt, das fast alle Gewerkschaften auflöste, jedoch die örtliche Vereinsbildung nicht verbot. In dieser Zwangslage bekehrten sich die Anhänger der aufgelösten freien Gewerkschaften vorübergehend zum Lokalismus und Föderalismus. So gründeten sie im Jahre 1881 an vielen Orten Deutschlands Lokalorganisationen, die aus ihrer Mitte Vertrauensmänner wählten. Diese traten als Einzelpersonen miteinander in Verbindung und stellten auf diesem Wege eine zwar lose, aber durchaus wirksame Föderation her. Von den Vertrauensmännern wurden wiederum Agitationskommissionen gewählt, deren Aufgabe es war, Zeitungen herauszugeben. Doch wurden diese bald verboten und ihre Herausgeber aus Deutschland ausgewiesen. Aus diesem Grunde erschienen die Zeitungen von nun an wöchentlich unter wechselndem Namen.

 

Mit dem Fall des Sozialistengesetzes im Jahre 1890 erstarkten die zentralistischen Tendenzen wieder. Es wurde eine General- Kommission der Gewerkschaften gebildet, die die örtlichen Fachverbände durch Zusammenschluß und Durchgliederung zu zentralen Berufsverbänden umbildete, die sich später zu Industrie- Verbänden ausgestalteten. Dieser Umwandlungsprozeß ging natürlich nicht ohne den Widerspruch der Lokalisten vor sich, die vor allem in dem Baugewerbe Berlins ihre Hauptstütze fanden. Die beiden Richtungen traten sich auf dem ersten gewerkschaftlichen Kongreß zu Halberstadt im Jahre 1892 gegenüber. Er endete, wie vorauszusehen war, mit dem Siege der Zentralisten, die die vollständige Vernichtung der Lokalorganisation beschlossen. Die Lokalisten, ihrer Ohnmacht innerhalb des zentralistischen Gewerkschaftsverbandes bewusst, ergriffen die einzige Möglichkeit, die sich ihnen bot, um ihren Anschauungen das Leben zu erhalten: sie verließen demonstrativ die Versammlung und beschlossen, einen eigenen Kongreß einzuberufen.

 

 

Erlass des "Sozialistengesetzes" durch den Kaiser, 1878

 

 

Kapitalismus unverkürzt :-)

 

 

 

Geburtstunde des 1.Mai

 

 

 

1. Kongress der späteren "Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften"

Vereinigung der Brauereiarbeiter in Berlin,
in "Die Einigkeit"

 

Die „Vertrauensmänner- Zentralisation“ als die Vorläuferin des deutschen Syndikalismus.

 

Der „Kongreß der Lokalorganisierten oder auf Grund des Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands“ wurde in Halle am 17. Mai 1897 abgehalten. 38 Delegierte von 14 Berufen besuchten ihn und schlossen sich zu der Vertrauensmänner- Zentralisation zusammen, deren Anhängerschaft eine Statistik der Generalkommission mit 6.803 Mitgliedern angibt. Im Vergleich mit der Stärke des Zentralverbandes, der für das gleiche Jahr 412.359 Mitglieder umfasste, erscheint diese verschwindend gering. Doch liegt die Bedeutung der lokalistischen Bewegung auch nicht in ihrer zahlenmäßigen Stärke, sondern in ihrer revolutionären Tendenz.

 

Die auf dem Kongreß versammelten Vertreter befassten sich zunächst mit der Aufgabe, die gegründete Vereinigung zu organisieren. Zu diesem Zweck wählten sie eine leitende Geschäftskommission, die die Aufgabe hatte, „das Band der Organisation zu festigen und in Wort und Schrift Propaganda zu machen für die Ideen des Sozialismus, um neue Anhänger zu werben“. Die Geschäftskommission, die die Verbindung der angeschlossenen Gewerkschaften übernahm, stellte keine Zentralleitung im Sinne der Zentralverbände dar, sondern erfüllte mehr die Aufgaben einer Agitationskommission. Jeder einzelne Ortsverein sollte innerhalb des föderalistischen Zusammenschlusses selbständig bleiben.


Einen weiteren Punkt der Tagesordnung bildete ein Referat, in welchem die Stellung der Vertrauensmänner- Zentralisation innerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung herausgearbeitet werden sollte. Dieses weist schon eine teilweise Übereinstimmung mit den Grundsätzen des französischen Syndikalismus auf. Die Vertrauensmänner- Zentralisation erklärte, dass sie das Prinzip der Klassenzweiteilung anerkenne und nur die Interessen der Arbeiterklasse vertreten wolle. Sie erkannte die Notwendigkeit des Klassenkampfes an und wünschte nicht den Frieden, sondern den dauernden Kampf gegen das Unternehmertum bis zu dessen völliger Vernichtung. Sie empfahl die direkte Aktion, sie verfocht die Idee des Massen- und Generalstreiks als Kampfmittel zum Sturze des Kapitalismus.

 

Im Widerspruch mit dem Gedanken der direkten Aktion standen die Ausführungen Kesslers auf dem Kongreß, der betonte, dass der gewerkschaftliche Kampf nur im engsten Anschluß an die Sozialdemokratische Partei geführt werden könne. Die Gewerkschaften müssten bei der Sozialdemokratischen Partei belassen und in deren Dienst gestellt werden. Die lokalistische Organisationsform schien auch dazu am besten geeignet, während dagegen der zentralistische Zusammenschluß die Gefahr der Selbständigwerdung gegenüber der Partei in sich schloß. Die Sozialdemokratische Partei wollte zunächst von der zentralistischen Gewerkschaftsbewegung nichts wissen. Als diese aber immer mehr wuchs, sodaß schließlich eine Personal- Union von Partei und Zentralverbänden in Führung und Gefolgschaft entstand, sahen sich die Lokalisten von der Sozialdemokratischen Partei abgeschnitten. Von dieser Zeit ab gerieten sie immer stärker unter den geistigen Einfluß des französischen Syndikalismus. Die Folge war, dass der Abstand dieser Bewegung von den Zentralverbänden sich vergrößerte und damit auch der von der Sozialdemokratischen Partei.

 

Die „Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften“, die Fortsetzung der Vertrauensmänner- Zentralisation.


Stellungnahme gegenüber den Parteien. Auf dem 5. Kongreß, der in Berlin vom 22. bis 25. September 1901 abgehalten wurde, erklärte man die Neutralität des Verbandes gegenüber den politischen Parteien. Zugleich beschloß man die bisherige Benennung des Zusammenschlusses abzuändern in die Bezeichnung „Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften.“

 

Auf Seiten des Zentralverbandes teilte man anfangs fast allgemein die Meinung, dass die lokalistische Richtung allmählich verschwinden werde. Als sich diese Ansicht als falsch erwies, beabsichtigten die Sozialdemokratie und die Zentralverbände, die Lokalisten durch Einigungsverhandlungen, die im Jahre 1903 einsetzten, zu beseitigen. Unglücklicherweise ließen sich die Lokalisten auch auf derartige Verhandlungen ein, deren Abschluß ihrer Bewegung großen Schaden zufügen sollte. Schon auf dem 6. Kongreß im folgenden Jahre konnte die Freie Vereinigung feststellen, dass ein erheblicher Teil ihrer Mitglieder zu den Zentralverbänden abgewandert war.

 

Die Einigungsverhandlungen, die zwischen dem Parteivorstand und der General- Kommission einerseits und der Geschäftskommission andererseits geführt wurden, zerschlugen sich, als die Lokalisten in einer Sitzung vom 13. März 1904 darauf bestanden, die organisatorische Selbständigkeit ihrer Bewegung innerhalb des Zentralverbandes zu verlangen. Damit war der weiteren Entwicklung der lokalistischen Bewegung, die durch diese Verhandlungen gehemmt war, wieder freie Bahn geschaffen.

 

Föderalismus oder Zentralismus

 

 

 

Karikatur im Syndikalist

 

 

 

 

Erfahrungen und Argumente

gegen zentralistische Organisation

 

 

 

 

SPD Parteitagsprotokoll, Jena 1905.

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Das Problem des Generalstreiks.


Die Tätigkeit der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften wandte sich jetzt wieder Problemen prinzipieller Natur zu, deren Bejahung oder Negierung für die sich erweiternde Trennung zwischen der Freien Vereinigung und den Zentralverbänden und der sozialdemokratischen Partei von Bedeutung war. Im Vordergrund des Interesses stand die Frage des Generalstreiks mit Rücksicht auf den für das Jahr 1904 nach Amsterdam einberufenen Internationalen Sozialistischen Kongreß, auf welchem diese den Hauptpunkt der Tagesordnung ausmachte. Die Freie Vereinigung berief zur Stellungnahme zu dieser Frage eine öffentliche Massenversammlung am 4. August 1904 ein, die Dr. Friedeberg mit einem Referat über „Parlamentarismus und Generalstreik“ einleitete. Das Ergebnis war die folgende einstimmig beschlossene Resolution, die zum ersten male den Antiparlamentarismus in das Programm der Freien Vereinigung einfügte: „Die irrtümliche Auffassung vom Wesen des Staates, ganz besonders aber die Überschätzung des Parlamentarismus haben allmählich das Proletariat vom Boden des eigentlichen Klassenkampfes abgedrängt. Die Trennung der proletarischen Bewegung in politische Partei- und Gewerkschaftsbewegung, die daraus erwachsende Neutralität der Gewerkschaften, welche fast ausschließlich in der Verbesserung des Arbeitsvertrages ihre alleinige Aufgabe erblicken, hat dem Klassenkampf den Todesstoß gegeben.

Die wahre Macht des Proletariats beruht auf der möglichst großen Zahl völlig freier, vom Geist des Klassenkampfes durchdrungener Persönlichkeiten, wie sie niemals der auf einem Vertretersystem beruhende Parlamentarismus, wohl aber eine vom Geist des Sozialismus getragene Gewerkschafts- Bewegung herausbilden kann.

Massenaktion mit voller Verantwortlichkeit jedes Einzelnen – Streiks, Maifeier, Boykott – das sind die Vorbedingungen der endgültigen Befreiung des Proletariats. Diese Befreiung selbst, die Aufhebung der Klassenherrschaft wird erfolgen durch den Generalstreik. Nicht durch eine Revolution, nicht im Wege des Blutvergießens und der Gewalt, sondern durch ein ethisches Kampfmittel, durch die Verweigerung der Persönlichkeit, die, in weitem Umfange durchgeführt, das Proletariat aus der Produktion ausschaltet und dadurch die ökonomische Herrschaft der Kapitalisten- Klasse und ihr Instrument, den Staat, beseitigt.

Aus diesen Gründen erwartet die Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften, dass die nur indirekt nützende, unzweckmäßige ungeheure Opfer an geistigen und materiellen Kräften erfordernde parlamentarische Bestätigung zurückgedrängt und alle Kraft des deutschen Proletariats auf die geistige und sittliche Hebung des Proletariats und auf den wirtschaftlichen Kampf verwandt werden soll, dass der Aufbau der gewerkschaftlichen Organisation und der Erziehung der gewerkschaftlichen Mitglieder über die Tagesfragen hinaus zu idealgesinnten, bewussten Klassenkämpfern mit aller Macht betrieben und so die Möglichkeit eines siegreichen Generalstreiks für das deutsche Proletariat baldigst verwirklicht werde“.

Zwei Delegierte der Freien Vereinigung wurden beauftragt, auf dem internationalen sozialistischen Kongreß zu Amsterdam die gefasste Resolution zu begründen. Ihre Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Es wurde ein Kompromissantrag angenommen, der den Generalstreik ablehnte, aber den politischen Massenstreik propagierte.

Eine gleiche Stellung nahm der sozialdemokratische Parteitag vom September 1905 in Jena ein, auf welchem sich die Sozialdemokratie verpflichtete, „gegebenenfalls“ den politischen Massenstreik zu erklären. Die Zentralverbändler jedoch beachteten weder die Amsterdamer Beschlüsse noch die Jenenser, sondern hielten an der Resolution ihres Kongresses vom Mai 1906 in Köln fest, der den Generalstreik als „Indiskutabel“ erklärt und diesen Propaganda verboten hatte. Darüber hinaus zwang die General- Kommission den sozialdemokratischen Parteivorstand in geheimen Verhandlungen, ein Protokoll zu unterzeichnen, dessen erster Absatz lautete: „Der Parteivorstand hat nicht die Absicht, den politischen Massenstreik zu propagieren, sondern wird, soweit es ihm möglich ist, einen solchen zu verhindern suchen“. Dieses Schriftstück gelangt in die Hände der Geschäftskommission, die es in der „Einigkeit“, dem im Jahre 1897 geschaffenen Organ der Freien Vereinigung, veröffentlichte und dieses Vorgehen als einen Verrat an der Arbeiterschaft brandmarkte. Diese Kundgebung erregte auf der Gegenseite starken Unwillen. Die von der Partei einsetzende Hetze gegen die Freie Vereinigung brachte es dahin, dass in Mannheim im Jahre 1906 auf dem sozialdemokratischen Parteitag ein Beschluß gefasst wurde, nach welchem die Mitglieder und Anhänger der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften aus der Sozialdemokratie auszuscheiden hätten und diese Richtung auf das schärfste zu bekämpfen sei. Durch dieses Vorgehen der Partei wurde die reinliche Scheidung zwischen beiden vollzogen und die Freie Vereinigung von jeglicher Fühlung mit der Partei gelöst. Seit dieser Zeit sollte diese Bewegung bis auf den heutigen Tag mit keiner politischen Partei irgendwelche Gemeinschaft haben.

 

Die Wirkung des Ausschlusses aus der Sozialdemokratischen Partei auf die Freie Vereinigung und deren weitere Entwicklung zum Syndikalismus bis zum Kriege.



Auch die letzten Sympathien für die Zentralverbände, die in den Reihen der Freien Vereinigung noch vorhanden waren und immer noch eine Einigung beider Richtungen beabsichtigten, sollten bald verschwinden. Auf dem 8. Kongreß der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften, der im Januar 1908 in Berlin tagte, lag ein Antrag der 16. Konferenz der „Freien Vereinigung der Maurer Deutschlands“ vor, der die Auflösung der Freien Vereinigung und ihr Aufgehen in die Zentralverbände verlangte. Es kam darüber zu einem Bruch, der damit endete, dass alle dem Antrag günstig Gesinnten aus der Freien Vereinigung ausschieden. So verließen die lokalistische Bewegung die letzten Elemente, deren Tätigkeit einer ruhigen Entwicklung der Freien Vereinigung im Wege gestanden hatte, sodaß diese sich jetzt ungehindert zum ausgesprochenen Syndikalismus hinentwickeln konnte.

Eine Folge der reinlichen Scheidung war das Abnehmen der Mitgliederzahl der Freien Vereinigung um mehr als die Hälfte. Für das Jahr 1906 betrug diese Zahl 13.145 Mitglieder, die 1907 auf 17.633 stieg, jedoch 1911 nur noch 7.833 umfaßte gegenüber 2.400.018 in den Zentralgewerkschaften.

Die Verminderung der Mitgliederzahl hatte aber den Vorteil, dass durch das Ausscheiden der störenden Faktoren Ruhe in die lokalistische Bewegung kam, die ihrer Fortentwicklung nur förderlich sein konnte. Das zeigte sich auf den folgenden Kongressen, die in der Hauptsache der Stellungnahme zu grundlegenden Problemen gewidmet waren, die zu einer Klärung und Festigung der Ansichten beitrugen und die Basis für die nach dem Kriege errichtete Prinzipienerklärung schufen. Auf dem 9. Kongreß im März 1910 demonstrierte die Freien Vereinigung gegen die reformistische Sozialgesetzgebung mit der Begründung, dass diese weder den Arbeitern wirkliche Vorteile zu bringen vermöchte, noch ein wirksames Mittel sei, die besitzende Klasse zu bekämpfen. In einer Resolution wurde erklärt, dass „nicht auf politisch-parlamentarischem, sondern einzig auf ökonomischem Gebiet das Proletariat dem Kapitalismus schon heute Wunden zu schlagen und Niederlagen zu bereiten“. in der Lage sei. Der 10. Kongreß vom Juli 1912 beschäftigte sich mit organisatorischen Fragen. Zunächst wurde bei der Behandlung des grundsätzlichen Problems „Zentralismus oder Föderalismus“ der Zentralismus verworfen, da er „immer Herrschaft auf der einen und Knechtschaft und Gehorsam auf der anderen Seite bedingt“. Ihm setzte man den Föderalismus entgegen, der die örtliche Selbständigkeit der Berufsvereine gewährleistete. Jeder Organisation sollte vollkommenes Selbstbestimmungsrecht und ihre eigenen, den örtlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Interessen entsprechenden Statuten besitzen, die aber mit denen der freien Vereinigung nicht im Widerspruch stehen dürften. Um die örtlichen Berufsvereine einander näher zu bringen, sollten sich diese zu örtlichen Kartellen zusammenschließen. Desgleichen sollten verwandte Berufe in Industrieföderationen zusammengefasst werden. Auch über die Gestaltung des zukünftigen Gesellschaftsbildes tauchten Pläne auf. An Stelle der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sollte eine kommunistisch- sozialistische Gesellschaft treten, innerhalb derer die Gewerkschaften zu Trägern der zukünftigen Produktion berufen sein sollten. Daraus ergab sich eine feindliche Stellung gegenüber dem Staate, die Ablehnung des parlamentarischen Systems und die direkte Aktion, als deren Formen man den Boykott, die Sabotage, den Solidaritätsstreik und endlich den Generalstreik ansah.

Die Übereinstimmung der lokalistischen Bewegung mit der syndikalistischen Bewegung von Amiens trat immer klarer hervor. Wenn auch ein tatsächlicher organischer Zusammenhang mit der französischen syndikalistischen Bewegung nicht vorhanden war, so kamen sie sich doch in ihren theoretischen Anschauungen immer näher. Hätte die Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften schon vor dem Kriege ihr Wollen und ihr Ziel in einer Programmerklärung niedergelegt, so hätte diese eine auffallende Ähnlichkeit mit der „Charte d’ Amiens“ des französischen Syndikalismus aufweisen müssen. Die Lokalisten waren sich dieser Identität der Anschauungen voll bewusst und bezeichneten sich auch gelegentlich als Anhänger der syndikalistischen Arbeiterbewegung.

 

 

Kopf der syndikalistischen Arbeiterbewegung

 in Deutschland von 1897 - 1930: Fritz Kater.

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Anzeige aus dem Organ der "Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften" (FVdG), "Die Einigkeit", zu einer Versammlung im schwäbischen Göppingen. Für weitere Informationen das Bild klicken.

 

 

 

 

 

 

 

Kolloquium im französischen Nérac zu
"100 Jahre Charte d´Amiens", 2006.

 

Organ des Syndikalistischen Industrieverbandes
für Hamburg, Altona und Umgegend, Juni 1914. Für

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"Die Einigkeit" kurz vor ihrem Verbot 1914

 

 

Internes Periodikum als Ersatz

für die verbotene "Einigkeit"

 

 

Tote Syndikalisten während der Kämpfe um die Münchner Räterepublik, Anzeige im "Syndikalist", 1919

 

 

Tote Syndikalisten während der Kämpfe  um die Bremer Räterepublik, Anzeige im "Syndikalist", 1919

 

 

Befreites Gebiet während der Ruhrkämpfe 1920.

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Die Entwicklungshemmung der lokalistisch-syndikalistischen Bewegung während des Krieges.

Die Gesinnungsfestigkeit der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften sollte bald einer schweren Prüfung unterzogen werden. Das drohende Gespenst eines bewaffneten Zusammenstoßes warf schon manche Jahre vor dem wirklichen Ausbruch des Krieges seien Schatten voraus und gab der Freien Vereinigung Veranlassung, zu diesem Problem in antimilitaristischen und pazifistischen Resolutionen Stellung zu nehmen und eine ihrem Standpunkt entsprechende Propaganda zu betreiben. Schon im Jahre 1911 äußerte Yvetot als Mitglied einer französischen syndikalistischen Arbeiterdelegation am 24. Juli in Berlin in einer Rede: „Wenn die Regierungen es versuchen sollten, eine Nation gegen die andere in den Kampf zu treiben, so werden wir zeigen, dass die Völker schönere Aufgaben zu erfüllen haben. Versucht es nur einmal, ihr Schafsköpfe, und ihr werdet sehen, ob nicht die Völker einen anderen Gebrauch von den Waffen machen werden, die ihr ihnen in die Hand gebt“. Die Ausführungen von Yvetot fanden allgemeine Zustimmung. Der Redner wurde freilich aus Deutschland ausgewiesen.

Die Freie Vereinigung ließ sich aber durch solche Gewaltmaßnahmen nicht von dem eingeschlagenen Wege abbringen. Sie veröffentlichte in ihren Organen, der „Einigkeit“ und dem „Pionier“, Kundgebungen für den Frieden. So schrieb „Die Einigkeit“ unter dem Titel „Krieg“: „Wer will den Krieg? Nicht das arbeitende Volk, sondern eine nichtsnutzige Militärkamarilla, die in allen europäischen Staaten nach kriegerischem Ruhm geizt.

Wir Arbeiter wollen keinen Krieg! Wir verabscheuen ihn, er mordet die Kultur, schändet die Menschheit und vermehrt die Zahl der durch den bestehenden wirtschaftlichen Krieg Verkrüppelten ins Ungeheuerliche. Wir Arbeiter wollen den Frieden, den ganzen Frieden!

Wir kennen keine Österreicher, Serben, Russen, Italiener, Franzosen usw. Arbeitsbruder ist unser Name! Den Arbeitern aller Länder reichen wir die Hände, um eine Untat zu verhindern, die einen Strom von Tränen aus den Augen der Mütter und Kinder erzeugen müsste.

Barbaren und jeder Zivilisation feindliche Menschen mögen im Kriege eine hehre und heilige Äußerung erblicken. – Menschen mit einem fühlenden Herzen, Sozialisten, getragen von er Weltanschauung der Gerechtigkeit, Humanität und Menschenliebe, verachten den Krieg!

Deshalb, Arbeiter und Genossen ! Erhebt überall eure Stimme zum Protest gegen ein im Anzug befindliches Verbrechen an der Menschheit. Es kostet den Armen Gut und Blut, den Reichen aber bringt es Gewinn und den Vertretern des Militarismus Ruhm und Ehre. Nieder mit dem Krieg!“

Durch ihr oppositionelles Verhalten zog sich die Freie Vereinigung die Aufmerksamkeit der Regierung in immer stärkerem Maße zu, als der Ausbruch des Krieges näherrückte. Am Tage der Kriegserklärung an Frankreich, am 1.August 1914, wurden an verschiedenen Orten Deutschlands, insbesondere im Rheinlande, Anhänger der lokalistischen Bewegung aufgrund ihrer antimilitaristischen Propaganda und wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer staatsfeindlichen Bewegung in Schutzhaft genommen und bis zu zwei Jahren festgehalten. Gleichzeitig wurden die Zeitungen der Freien Vereinigung für die Dauer des Krieges verboten, zuerst „Der Pionier“ am 5. August und am 8. August „Die Einigkeit“. Aber auch dieser Zwang und die drohende Gefahr der Lahmlegung der ganzen lokalistischen Bewegung konnte die Freie Vereinigung nicht veranlassen, ihren Grundsätzen untreu zu werden. An Stelle der verbotenen Blätter gab die Geschäftskommission „Mitteilungsblätter“ und „Rundschreiben“ heraus. Aber auch diese ereilte das Verbot des Oberkommandierenden in den Marken, so dass die lokalistische Bewegung jahrelang ohne jede verbindende Presse ein unterirdisches Leben zu fristen gezwungen war.

Es gelang der Regierung trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen nicht, den Geist, der die Anhänger der Freien Vereinigung beherrschte, noch deren verborgene Organisation vollständig zu vernichten. Es ist sogar anzunehmen, dass ihr mutiges Bekenntnis zur Opposition die Zahl ihrer Anhänger im Verlaufe des Krieges anwachsen ließ, obgleich sich eine solche Vermehrung zahlenmäßig nicht beweisen lässt. Denn je mehr sich der Krieg in die Länge zog, umso größer wurde die Unzufriedenheit der Arbeiter über die lange Dauer des Krieges und ihre Abneigung gegen den Krieg. Und es ist ganz natürlich, dass sich diese unzufriedenen Elemente derjenigen Bewegung hinzugesellten, die grundsätzlich gegen den Krieg eingestellt war und die trotz der Unterdrückung von Seiten des Staates ihren Standpunkt in heimlich verbreiteten Fugblättern vertrat.

Hinzu kommt noch, dass die Politik der Generalkommission der Zentralverbände während des Krieges, die ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten, zum Hilfsdienstgesetz und zu dem Verzicht auf das Streikrecht erteilt hatte, also im Fahrwasser der Regierung steuerte, ihr die Arbeiterschaft teilweise entfremdet hatte. Weiter war die Leitung von den Zentralverbänden vielfach auf die Industrieverbände übergegangen, zum Teil hatten aber auch rein örtliche Verbände und Betriebsorganisationen die Führung übernommen. Auch diese oppositionellen Strömungen innerhalb der zentralistischen Gewerkschaften tendierten zur lokalistisch- syndikalistischen Bewegung.

Rätezeit

Die Reorganisationsphase der FVDG nach dem Ersten Weltkrieg fiel mit der Novemberrevolution zusammen. Doch daran, wie auch an den ausgerufenen Räterepubliken in Bremen und München beteiligte sich die Organisation als solche nicht oder nur vereinzelt regional.

Gegen die Eroberung der politischen Macht setzte die FVDG auf eine umfassende soziale Revolution, die durch einen flächendeckenden Generalstreik eingeleitet werden sollte, und nicht in erster Linie durch bewaffnete Kämpfe. Dennoch beteiligten sich Syndikalisten an den Kämpfen und ließen ihr Leben. Im Ruhrgebiet entstand 1919 eine breit gefächerte revolutionäre Arbeiterbewegung aus Unionisten, Syndikalisten und Parteikommunisten. Sie riefen den Generalstreik aus und produzierten in den Gruben teilweise in Eigenregie – der 6-Stunden-Tag wurde eingeführt. Im Zuge des Kapp-Putsches organisierte sich die sog. „Rote Ruhr Armee“, welche knapp zur Hälfte aus Mitgliedern der FVDG/FAUD bestand.

Die Syndikalisten hatten ihre Zentren in Dortmund, Mülheim und Hamborn (hier stellten sie die stärkste Kraft). Das Ruhrgebiet wurde vom staatlichen Militär befreit, dennoch unterlag die Arbeiterschaft in den weiteren Kämpfen.

 

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