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Rezensionen zum Buch von Helge Döhring "Damit in Bayern Frühling werde!"

 

Siehe die Info-Seite zum Buch

 

Rezension in der Graswurzelrevolution

Rezension von M.Neagoie für Syndikalismusforschung.info

Rezension in Contraste
Rezension von Egon Günther

Rezension von Jürgen Jenko

 

 

Damit in Bayern Frühling werde! - Ein Buch über die anarcho-syndikalistische Bewegung in Südbayern

Buchbesprechung

Helge Döhring: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933. Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2007, 284 S., ISBN 978-3936049-84-8, 17 Euro

Viele Bücher sind über die Intellektuellen, über die Bohemiens geschrieben worden.

Denkwürdigerweise wurden diejenigen, welche in den Betrieben für die Ideen Erich Mühsams oder Gustav Landauers eintraten, einfach vergessen.Bayern, von dem hier die Rede ist, bildete dabei keine Ausnahme. Was ist dran an der Annahme, dass sich auch in dieser Region Teile der Arbeiterbewegung nicht nur hinter Bürokratie und Wahlurne scharten?

Und: Sollte es tatsächlich ArbeiterInnen gegeben haben, die Freiheit und Kommunismus nicht mit den scheinradikalen Phrasen verwechselten, die unter dem Banner von Hammer und Sichel verbreitet wurden?

Gewerkschafts- und Kulturorganisation


Der Historiker Helge Döhring ist dieser Frage nachgegangen. Und das Ergebnis lässt sich sehen. Fundiert und kenntnisreich stellt der Autor in seinem neuen Buch „Damit in Bayern Frühling werde!“ die anarcho-syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern vor. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) hat hier ihre Spuren nicht nur in Städten wie München oder Augsburg hinterlassen, sondern auch in kleineren Städten und Dörfern.

Dabei entfaltete sie auf betrieblicher Ebene, aber noch mehr im kulturellen Bereich rege Aktivitäten; auf die der Autor in besonderer Weise eingeht. V.a. Sexualaufklärungs-, Freidenker- und Sängerbewegung sind hier zu nennen.

Eher mit einem Augenzwinkern reißt Helge Döhring kurz das Engagement der GenossInnen in der Abstinenzlerbewegung an. Viel Energie verwendete die FAUD in Südbayern auf die Errichtung eines Denkmals zu Ehren Gustav Landauers auf dem Münchener Waldfriedhof. 1933 wurde es von den Nazis zerstört.

Staatliche Behörden versuchten über all die Jahre, die Aktivitäten der Gewerkschaft einzuschränken oder mittels Verboten zu unterbinden. Auch in den Betrieben der Region hatten die GewerkschafterInnen keinen leichten Stand: So sahen sie sich in Südbayern nicht nur mit Angriffen seitens der Arbeitgeber konfrontiert. Widersacher fanden sie mancherorts auch in den eigenen Kollegen, die zentralistischen Gewerkschaftsorganisationen angehörten.

Zuweilen mündete der Zwist in Forderungen an den Arbeitgeber, anarcho-syndikalistischen AktivistInnen zu kündigen.

Nötigenfalls wurde dies per Streik erzwungen.

Strittig

Interessant sind die reichsweiten Mitgliederzahlen, die der Autor, gestützt auf Auswertungen umfangreichen Quellenmaterials, erstmals jahrgangsweise für die FAUD und Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD) vorzulegen vermag.

Allerdings ist in der Bewertung derselben Skepsis angebracht. Dass hier die Meinungen der Fachwelt der letzten 30 Jahre weit auseinander gehen, erwähnt Döhring bereits in seiner Einleitung.

Nichtsdestotrotz hat die anarcho-syndikalistische Bewegung selbst Angaben über ihre Mitgliederstärke hinterlassen, die der Autor nicht berücksichtigt hat. Kommen seine Zahlen für 1924 (IAA: 30.000, Döhring: 28.000) und 1926 (IAA: 22.000, Döhring: 21.000) noch denen sehr nahe, die zeitgenössische Publizität fanden, listet der Autor für 1928 gänzlich andere auf. Unter Bezugnahme auf einen Polizeibericht von 1927, demnach der spätere bedeutende Anarcho-Syndikalist Helmut Rüdiger auf dem 16. FAUD- Kongress nur von 12.000 Mitgliedern gesprochen haben soll, die Döhring in seiner Auflistung übernimmt, spricht sich der Historiker explizit gegen die jahrelang von anderen Forschern behauptete Mitgliederstärke von 20.000 aus.

Im Folgejahr sollen es nur noch 10.000 gewesen sein, wohingegen die IAA 20.000 angibt (1).

Ein Fehler ist dem Autor im Kapitel über das Verhältnis der FAUD zur Antirepressionsorganisation Rote Hilfe (RHD) unterlaufen: Die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) war nicht die Dachorganisation der internationalen Roten-Hilfe-Organisationen, sondern eine eigenständige, ebenfalls KPD-nahe proletarische Hilfsorganisation (2).

Würdigung

Ein besonderes Schmankerl ist Döhring mit der Zusammenstellung des Anhangs geglückt, der eine Reihe von Personenportraits und Quellentexten für interessierte LeserInnen bereithält.

Gustav Landauer erfährt hier besondere Würdigung.

Bekannte, aber auch leider in Vergessenheit geratene Protagonisten der anarcho-syndikalistischen Bewegung kommen dabei nicht nur zu Wort, sondern werden auch kurz selbst vorgestellt. Darunter: Fritz Oerter, gewaltfreier Anarcho-Syndikalist, der einen nicht unerheblichen Einfluss in der damaligen Bewegung hatte.

Das Buch besticht zudem durch eine Vielzahl von Abbildungen, v.a. aber durch Döhrings flüssigen Schreibstil, der dafür sorgt, dass man es erst am Ende wieder aus der Hand legen will.

Fazit: Nach seinen regionalgeschichtlichen Veröffentlichungen zu Ostpreußen (FAU-Bremen, 2006) und Württemberg (Verlag Edition AV, 2006) ist es dem Autor gelungen, einen weiteren weißen Fleck von der Landkarte zu tilgen und die eigene Geschichte für die heutige anarchosyndikalistische Bewegung zu erschließen.

Heiko Grau-Maiwald

Anmerkungen

(1) H. Döhring: Damit in Bayern Frühling werde!, S. 179 (Fußnote 14) und S. 201 ff. Vgl. dazu die Angaben des damaligen IAA-Sekretärs in: Lewis L. Lorwin, Die Internationale der Arbeit. Geschichte und Ausblick. Deutsche Ausgabe von Labour and Internationalism. Verlag des Institute of Economics Washington D.C., Berlin 1930, S. 227. IAA: Internationale Arbeiter Assoziation, anarchosyndikalistische Internationale, in der die FAUD Mitglied war.

(2) Döhring, S. 127. Dachorganisation der RH- Organisation war in Wirklichkeit die Internationale Rote Hilfe (IRH; russisch MOPR). Die IAH wurde 1921 auf Initiative von Willi Münzenberg, des späteren Medienmoguls der KPD, als internationale proletarische Hilfsorganisation gegründet. Ab 1924 wurde sie zur festen zentralisierten Mitgliederorganisation aufgebaut. Ihre Hauptaufgaben bestanden darin, bei Streiks durch Geldsammlungen, Einrichtung von Küchen, Erholungsaufenthalte für Arbeiterkinder u.ä. solidarische Hilfe zu leisten. Durch Spendensammlungen konnten den in Not geratenen ArbeiterInnen in solchen Fällen Kleidung, Lebensmittel und Geld zur Verfügung gestellt werden. Die IAH unterhielt ferner eine rege filmische Propaganda.

erschienen in "Graswurzelrevolution Nr. 325 - Januar 2008"

 

Damit in Bayern Frühling werde

Buchbesprechung: Helge Döhring zur syndikalistischen Arbeiterbewegung in Südbayern 1914 bis 1933

Wer sich für die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus interessiert, dem ist in den letzten Jahren sicherlich der Name Helge Döhring geläufig geworden. Der Bremer Anarchosyndikalist und Historiker veröffentlichte in kurzen Abständen mehrere Beiträge zur Geschichte dieser revolutionären Arbeiterbewegung in verschiedenen Regionen Deutschlands sowie zu verschiedenen Fachfragen. Neben zusammenfassenden Regionalstudien – zuletzt zum Anarcho-Syndikalismus in Ostpreußen und Baden - publizierte er 2006 ein Standartwerk zu Württemberg. Nun hat Helge Döhring eine weitere Lücke geschlossen. Soeben erschien sein Buch „Damit in Bayern Frühling werde – Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern“. Eine grundsolide Arbeit über die anarcho-syndikalistische Arbeiterbewegung zwischen 1914 bis 1933.

Denkt man an Bayern, denkt man heute wie damals an finstere Reaktion, Obrigkeitsstaat und Klerus. Aufgeklärte Zeitgenossen wissen von der Existenz der Münchner Räterepublik und ihren anarchistischen Protagonisten Gustav Landauer und Erich Mühsam. Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Bayern haben nahezu ausschließlich die Aktivitäten der sozialdemokratischen- oder kommunistischen Partei zum Inhalt. Über die wirklich freiheitlich-emanzipatorische Arbeiterbewegung wurde hinweggesehen oder aber das Interesse, über diese selbst organisierte Bewegung zu Berichten, war nicht vorhanden.

Helge Döhring fasst dies in seiner Einleitung treffend zusammen: „Wenn für Bayern von revolutionärer Arbeiterbewegung die Rede ist, dann richtet sich der Scheinwerfer im Allgemeinen auf die Revolution von 1918/19 und auf die Räterepublik. Viele Bücher sind über die Intellektuellen, über die Bohemiens geschrieben worden. Denkwürdigerweise wurden diejenigen, welche in den Betrieben für die Ideen Mühsams oder Landauers eintraten, einfach vergessen. Die Begrifflichkeit des Anarchismus anstelle des Syndikalismus nimmt über 90 Prozent der Geschichte der freiheitlich-emanzipatorischen Bewegung Südbayerns ein. Das verdreht die historischen Tatsachen. Das Buch soll einen Beitrag dazu leisten, diese Schieflage in Forschung wie Publizität auszugleichen.“

Dazu finden sich zusammengefasst in neun Kapiteln zahlreiche Belege. Und um es vorweg zu sagen: Diesem Anspruch wird das Buch gerecht.

Die Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD)
 

Erfreulicherweise wurden in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Regionalstudien zur Geschichte, Zusammensetzung und Aktivität der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) veröffentlicht. Zu ihren Höchstzeiten erlangte die FAUD eine Organisationsstärke von 150.000 Mitgliedern, wie Döhring im Anhang „FAUD im Überblick“ errechnet. Ihr auflagenstärkstes Organ „Der Syndikalist“, erschien über mehrere Jahre wöchentlich. Im Gegensatz zu den zentralistischen Organisationen und Gewerkschaften organisieren sich anarchosyndikalistische Gewerkschafter basisdemokratisch. Jede Gewerkschaft und lokale Gruppe entscheidet selbst bestimmt über die Durchführung von (Arbeits-)Kampfmaßnahmen und ihre Formen. Anarcho-Syndikalisten sind antikapitalistisch. Ausbeutung durch Lohnarbeit soll beendet werden und die Betriebe selbst verwaltet sowie nach Gesichtspunkten des gesellschaftlichen Bedarfs von den Arbeiterinnen und Arbeitern übernommen werden. Statt Reichtum für wenige Kapitalisten soll materieller Wohlstand und politische Gleichheit für Alle das bestimmende Prinzip der angestrebten freien Gesellschaft sein.

Herrschaft und Staat werden als Unterdrückungsinstrumente zurückgewiesen. Einer der geistigen Vordenker und Aktivisten des internationalen Anarcho-Syndikalismus, Rudolf Rocker, fasste dies in dem Satz „Der Sozialismus wird frei sein, oder er wird nicht sein“ zusammen. Eine klare Absage an autoritäre Gesellschaftsmodelle wie den "bürgerlichen Staat“ oder die „Diktatur des Proletariats“.

Kein Wunder, dass Anarcho-Syndikalisten zu den ersten und schärfsten Kritikern der Sowjetunion zählten.

Gerade diese lebendige föderalistische Struktur macht es Notwendig, dass an die Geschichte der Bewegung vielfältig herangegangen wird. Anders als bei den zentralistischen Organisationen, in denen aller meistens nach Schema F vorgegangen wird, und die Zentrale den Gruppen vor Ort Weisungen über die Gestaltung ihrer Arbeit erteilt, ist der Aufbau und die Aktivität bei den Anarcho-Syndikalisten immer Resultat der eigenen Lebenssituation. Sie ist die Grundlage der Aktivität. Alle Impulse kommen von unten aus den konkreten Bedürfnissen. Dies ist der Grund, warum die FAUD in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Aktivitäten und Strukturen entwickelte. Regionalstudien sind genau deshalb so wesentlich, um einen zusammenfassenden Gesamtüberblick zu erhalten. Döhring: „Unterschiede ergeben sich beispielsweise in der Ausprägung der Wirtschaftsräume wie auch in der Sozialstruktur. Im kulturellen Bereich waren die Anarcho-Syndikalisten schwerpunktmäßig in verschiedenen Bereichen aktiv. Hatte ich mich bei meinen Forschungen zum Syndikalismus in Württemberg beispielsweise verstärkt der Büchergildenbewegung zugewandt, und im Hinblick der Bewegung in Ostpreußen vornehmlich die syndikalistisch-anarchistische Jugendbewegung betrachtet, so treffe ich für Südbayern auf die Sexualaufklärungs- und Sängerbewegung, die ich in den vorgenannten Studien mangels Masse nicht aufgreifen konnte. Auf diese Weise wächst im Detail der Durchblick und auf der Makroebene der Weitblick für den Forschungsgegenstand Anarcho-Syndikalismus.“

Was war in Südbayern?

Anhand der wachsenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert zeichnet Helge Döhring die Entwicklung der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Südbayern nach. Die 1897 gegründete „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVdG), die Vorgängerorganisation der FAUD, fasste dort zuerst in München Fuß. In einem einleitenden Kapitel berichtet er über die Anfänge dieser aus der Sozialdemokratie hervorgegangen Gewerkschaft und ihre Aktivitäten in München und nach 1918 auch in Rosenheim und Augsburg. München blieb jedoch bis 1933 durchgehend der organisatorische Schwerpunkt. Vor dem 1. Weltkrieg vereinigte die FVdG dort etwa 200 Mitglieder. Nach dem Krieg wuchs die Bewegung auf ca. 1000 Mitglieder an. Größten Anteil hatten die Fliesenleger. Eigenständige Berufsorganisationen bildeten weiterhin die „Isolierer und Steinholzleger“, die Maurer, die Betonarbeiter, Metallarbeiter und Tischler/Holzarbeiter. Der 1. Weltkrieg brachte Zensur und eine starke Einschränkung der Organisationstätigkeit. Zahlreiche Mitglieder wurden Opfer des Krieges. Die FVdG unterstützte nach Kräften die Familien der Hinterbliebenen und war bemüht die Organisation aufrecht zu erhalten.
 

Als vom 09. November 1918 von Kiel ausgehend die Revolution auch in Bayern losbrach, verhielten sich die Syndikalisten ihr gegenüber zurückhaltend. Diese Zurückhaltung führt Döhring auf den starken politischen Charakter der Revolution zurück. Das Revolutionsverständnis war ein anderes. Nicht die Eroberung der politischen Macht war das Ziel; Den Syndikalisten ging es vornehmlich um die wirtschaftliche – soziale – Revolution. Dennoch unterstützen und begleiteten sie die Revolution solidarisch. Das FAUD-Organ „Der Syndikalist“ verbreitete die „Erklärung des Bayerischen Zentralrates der Räterepublik“ vom 07. April 1919. Und der Fürther Anarchosyndikalist Fritz Oerter berichtete regelmäßig über den Verlauf der Revolution, welche schließlich mit brutalsten Methoden durch Militär und Freikorps niedergeschlagen wurde. Zahlreiche Arbeiter wurden erschossen. Der Anarchist und Pazifist Gustav Landauer von Soldaten totgetreten. Döhring lässt Fritz Oerter im Buch zu Wort kommen, welcher die Lehren aus der Revolution wie folgt zusammenfasst: „Solange die Arbeiter nicht endlich anfangen, selber nachzudenken und selber zu handeln, solange sie nicht begreifen, dass kein Mensch und kein Führer sie befreit, wenn sie sich nicht selber zur revolutionären Tat aufraffen und geeint durch Solidarität die alten und neuen Autoritäten stürzen, um für den Aufbau des Sozialismus Platz zu bekommen, solange wird die Reaktion in- und außerhalb Bayerns noch manche Mordtat vollbringen und noch viele gute Tage haben.“

Zu den Solidaritätsaktionen der FAUD gehörte die materielle Unterstützung der aufgrund der Revolution inhaftierten Genossen und ihrer Familien. Der Aufgrund seiner Tätigkeit in der Räterepublik 1922 noch immer im Kerker sitzende Erich Mühsam wurde von den Münchner Syndikalisten mit Lebensmitteln versorgt.

Dokumentiert und anschaulich dargestellt werden weiterhin die Unterstützungsleistungen für die Kämpfenden gegen den reaktionären Militärputsch um den Oberst Kapp. An der Niederschlagung dieses Putsches und der damit einhergehenden revolutionären Welle – vor allem im Ruhrgebiet und Vogtland – beteiligten sich auch zahlreiche Syndikalisten.

Ausführlich werden die lokalen Gewerkschaftsgruppen der FAUD vorgestellt. Mit detaillierten Angaben zu Treffpunkten, Vorsitzenden und Mitgliederstärke und Aktivitäten ersteht ein lebendiges Bild. Über Strategiediskussionen und Arbeitskämpfe wird berichtet. In einem Extrakapitel wird das Konzept der „Arbeitsbörsen“ in der Praxis vorgestellt. Diese können als ein Herzstück der organisierten Solidarität und gebündelter Kampfkraft verstanden werden.

Revolutionäre Gewerkschaft im Fadenkreuz des ADGB

Wie bereits in anderen Forschungen zum Anarcho-Syndikalismus in Deutschland, dokumentiert Helge Döhring auch in diesem Buch den ausgeprägten Willen des reformistisch und sozialdemokratisch dominierten Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts Bundes (ADGB) konkurrierende Gewerkschaften auszuschalten. Besonders die von den Arbeitern selbst organisierte Gewerkschaft FAUD mit ihrem revolutionären, antikapitalistischen und basisdemokratischen Grundverständnis galt als Feind.
 

In München kam es so am 17. August 1920 zu einem vom ADGB ausgerufenen Streik im Baugewerbe. Ziel war nicht etwa die Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen oder höherer Löhne. Ziel war die Entlassung von Mitgliedern der syndikalistischen Bauarbeiterföderation. Diese war in München betrieblich verankert und stellte eine ernstzunehmende Konkurrenz für den ADGB dar. Hier erreichte der ADGB die Entlassung der Syndikalisten. Auch in anderen Orten sind solche Angriffe auf die Anarcho-Syndikalisten bekannt geworden. Helge Döhring erklärt: „Die Zentralgewerkschaften waren besonders in der ersten Hälfte der 20er Jahre um Abgänge ihrer Mitglieder zu revolutionär-syndikalistischen, unionistischen oder anarcho-syndikalistischen Organisationen besorgt. So gab kein anderer als der ADGB Vorsitzende Karl Legien „zur Bekämpfung der gegnerischen Gewerkschaften“ die Herausgabe der Broschüre von Paul Umbreit „Die gegnerischen Gewerkschaften in Deutschland“ bekannt…“.

Über den Betrieb hinaus

In dem darauf folgenden Kapitel „Bewegung außerhalb der Betriebe“ werden die umfassenden gesellschaftlichen Aktivitäten der Anarcho-Syndikalisten Südbayerns vorgestellt. Leidenschaft und Engagement flossen in Anti-Alkohol-Kampagnen, in die gegen die Macht der Kirche gerichtete Freidenkerbewegung und führt zur „Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands“ (SAJD). Neben einer grundsätzlichen Vorstellung dieser Jugendorganisation wird über die Münchner Gruppe informiert. Daran anschließend berichtet Döhring über den „Syndikalistischen Frauenbund“ (SFB) und den von ihm gefunden Spuren dieser Frauenorganisation in München. Weitere Bereiche in denen Anarcho-Syndikalisten tätig waren, waren die „freien Kindergruppen“ und die „Freie Sängerbewegung“.

Diese werden genauso vorgestellt wie der „Verein für Sexualhygiene und Lebensreform“ (VSL) und der „Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“ (RV). In diesen Verbänden waren Anarcho-Syndikalisten in maßgeblichen Funktionen aktiv und nahmen auch Geld- und Gefängnisstrafen für ihre aufklärerischen und helfenden Aktivitäten in Kauf. Hervorheben möchte ich den Bericht über den „Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit“ (IBOKA). Dieser zeigt anschaulich den Lohnarbeitsbegriff der Anarcho-Syndikalisten auf.

Döhring führt aus: „Bemerkenswert ist, dass in diesem Organisationsnamen die Opfer von Krieg und Lohnarbeit auf eine Stufe gesetzt wurden. Frei nach dem Georg Büchner Zitat „Unser Leben ist der Mord durch Arbeit“ wurden beispielsweise Grubenunglücke im „Syndikalist“ immer wieder als Mordtat der Kapitalisten gegenüber dem Proletariat angesehen.“

Berichtet wird über die Geldsammlung für die Errichtung eines Denkmales für den ermordeten Gustav Landauer auf dem Münchner Südfriedhof. Dokumentiert werden Aufruf und Geschichte dieses Denkmals welches dann 1933 von den Nazis zerstört wurde. Das Verhältnis von FAUD und der KPD-dominierten Gefangenenhilfsorganisation „Rote Hilfe“ und die Rolle Erich Mühsams darin ist Gegenstand eines weiteren Kapitels. Genauso wie der „Anarchistische Verein Münchens“. Die Unterschiede und Spannungen zwischen den Anarcho-Syndikalisten und Anarchisten tauchen in mehreren Kapitalen anhand konkreter Beispiele auf.

Schließlich werden noch die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands und die Allgemeine Arbeiter Union vorgestellt sowie ihre Beziehung zu den Syndikalisten.

Im Kampf für die Emanzipation von Augsburg bis Trostberg

Helge Döhring folgte den Spuren des Anarcho-Syndikalismus auch in andere Städte und förderte auch dort greifbares zu Tage. Namen, Aktivitäten und Berichte über den sozialen und politischen Kampf. Detaillierte Beschreibungen finden sich zur FAUD in Augsburg. Dort bestand schon vor dem 1. Weltkrieg eine Gruppe. Eigenständige Berufsgruppen bildeten Textil- und Metallarbeiter. In dem Kriegsinvaliden Johann Blöchl hatte die FAUD einen außerordentlich aktiven Kämpfer. Als Berichterstatter an den „Syndikalist“ ist es ihm zu verdanken dass wir uns heute noch ein lebendiges Bild über die Zustände in Augsburg machen können. Er berichtete so über Aktionen für einen Wahlboykott im Jahr 1930, griff die „feinen Herrschaften“ und ihre Verlogenheit an und las auch der Kirche gehörig die Leviten. Seine im Buch auszugsweise wiedergegebenen Berichte sprechen die schonungslose Sprache der bis ins letzte durchschauten Bosheit und Verlogenheit der Herrschenden.

Städteberichte finden sich des weiteren zu Dachau, wo seit 1923 ein Ortsverband der FAUD bestand, zu Erding (Ortsverband ab 1924) und Moosburg (seit 1920). Besonders interessant ist das Kapitel zu den kleinen Dörfern Ostschwabens um Pappenheim. Hier wuchs die FAUD aufgrund von Vorträgen des FAUD Agitators Hans Ramsteck. Und gerade hier wird auch deutlich, wie personenabhängig eine Bewegung sein kann, und dass mit dem Verschwinden eines Hauptakteurs die Organisation oft nicht aufrechtzuerhalten ist.

Ein ausführliches Kapitel findet sich auch zu Trostberg. Trostberg ist Standort der chemischen Industrie (Degussa). Seit 1920 gab es dort einen Ortsverein der FAUD. Wie unterschiedlich mit „Geschichte“ umgegangen werden kann zeigt der Autor anhand dieser Fabrik auf. Die „Bayerische Stickstoffwerke AG“ – heute Degussa – war aktiv in die Nazi-Verbrechen verwickelt.„Ein Historiker wird bezahlt, um Unternehmensgeschichte zu schreiben. ..Im Auftrage der ‚Degussa’ wird die Firmengeschichte während der NS-Zeit in den Mittelpunkt gerückt und professionell aufgearbeitet, um sich der Öffentlichkeit aufgeklärt und demokratisch präsentieren zu können. Als wäre die Nazizeit der einzige Ausdruck menschenunwürdiger Bedingungen unter kapitalistischer Herrschaft. So aber soll es womöglich dargestellt werden. Die Geschichte der Arbeiter wird nicht geschrieben. Sie sollen im Dunkeln bleiben, ihre Leiden und Sorgen vor der Geschichte verschwiegen werden. Menschenverachtung äußerte sich jedoch nicht nur im NS-System. Sie zeigt sich in einem kapitalistischen System zu jeder Zeit den Arbeitern gegenüber. Menschen zählen hier nur in ihrer Funktion als Arbeitskraft. Die Wirtschaft ist nicht für den Menschen da, sondern der Mensch für die Wirtschaft, die ihm das Leben in Lohnarbeit diktiert. Dies ist zu jeder Zeit ein Verbrechen, auch ohne Lager und Hakenkreuz! Es nennt sich ‚freie Lohnarbeit’. Ich lasse im folgenden diejenigen zu Wort kommen, die bei der ‚Bayerischen Stickstoffwerke AG’ diesen Verhältnissen ausgesetzt wurden, und sich ihnen in den Weg stellten:“

So berichtet Döhring über seit Jahren nicht gereinigte Umkleideräume für die Arbeiter und die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen. Auch über einen Generalstreik im Jahre 1921 wird berichtet und den schwierigen Kampf der FAUD vor Ort.

Portraits und Schlußfolgerungen

Vorgestellt werden weiterhin der international bekannte aktive FAUD-Funktionär und Theoretiker Helmut Rüdiger aus München und besonders liebevoll: Benno Scharmanski. Anarchist, FAUD-Mitglied, Freier Sänger und auch nach 1945 wieder aktiv in der FAUD Nachfolgeorganisation „Föderation Freiheitlicher Sozialisten“ (FSS). Helge Döhring hat ein lebendiges und würdevolles Bild dieses Menschen gezeichnet.

In den Kernergebnissen zu seiner Untersuchung stellt er die soziologische Zusammensetzung der südbayrischen FAUD vor. Daraus ist eine ansehnliche Liste der Aktiven entstanden, die sich auch hervorragend zu weiteren Nachforschungen eignet. Umfangreiches Zahlenmaterial zur Organisation der FAUD vor Ort rundet die Untersuchung ab. Schwerpunkt seiner zusammenfassenden Ausführungen ist aber die Erörterung der Gründe für Mitgliederverlust und sinkenden Einfluss. Als Fazit benennt er jedoch nicht nur ökonomische Faktoren wie Erwerbslosigkeit und Armut sowie die Konkurrenz des ADGB. Auch „Ehrgefühl“ und „Begeisterungsfähigkeit“ gehörten zu den Rahmenbedingungen der Bewegung. Denn: „Der Anarcho-Syndikalismus speist sich aus beidem, ohne die materialistische gegen die ideelle Komponente auszuspielen. Im elastischen Zusammenwirken beider erst entsteht jene gesellschaftliche Dynamik, die es vermag, eine freie Gesellschaft im Sinne anarcho-syndikalistischer Vorstellungen aufzubauen.“

Als Zugabe finden sich Berichte der Zeitzeugen Victor Fraenkl, Fritz Oerter, Helmut Rüdiger und Erich Mühsam über Gustav Landauer. Eine Analyse Augustin Souchys zu „Erfahrungen aus erlebten Revolutionen des 20. Jahrhunderts“ folgt und wird mit dem Auszug eines Interviews mit Souchy über Landauer vertieft. Anschließend finden sich biographische Anmerkungen über die soeben genannten.

Abgerundet wird das Buch durch ein sehr lesenswertes Nachwort des Münchner Arbeiterbewegungsforschers Günter Gerstenberg. Dessen erfrischender Beitrag über die Geschichte und Kultur Bayerns erschließt die verschiedenen Welten, die sich in Bayern feindselig gegenüberstehen. Vor dem geistigen Auge erscheinen schließlich drei anarchistische Weggefährten aus München: Augustin Souchy, die Spanienkämpferin Martha Wüstemann und Benno Scharmanski. Gerstenberg berichtet über Begegnungen mit ihnen und fragt am Ende seines Beitrages nach neuen Strategien im Kampf für eine freie Gesellschaft.

Im Anhang finden sich weiterhin historische Grundsatztexte, von deren Klarheit und Deutlichkeit man auch heute noch viele Anregungen entnehmen kann. So das „Organisationsstatut der FAUD“, die „Aufgaben des syndikalistischen Frauenbundes“ (1924) und die „organisatorischen Leitsätze der SAJD“ von 1923.

Ein ausführliches Personen-, Organisations- und Orts- Register und eine umfangreiche Literaturliste schließen das ansprechend gestaltete und mit zahlreichen Fotos und Faksimile Abbildungen revolutionärer Zeitungen und Flugblätter versehene, rundum empfehlenswerte Buch ab. Nach „Syndikalismus im Ländle“ liegt mit „Damit in Bayern Frühling werde“ ein weiteres Quellenwerk zur Geschichte des Syndikalismus in Buchform vor. Es zeigt als Schlussfolgerungen viele Überlegungen auf die sich rund um die Frage: Wie kann die anarcho-syndikalistische Bewegung stärker werden und was schwächt und bekämpft sie“ zentrieren. Ein Buch mit dem man arbeiten kann. Geschichte von unten zum Anfassen und zur heutigen Anwendung.

M. Neagoie, 3. November 2007

 

Hans Jürgen Degen: Syndikalismus in Bayern

Der selbstorganisierten Arbeiterbewegung in Deutschland hat die Geschichtsschreibung wenig Raum eingeräumt. So ist es auch der syndikalistischen Bewegung ergangen. Helge Döhring hat mit einigen regionalgeschichtlichen Studien zu dieser Variante der Arbeiterbewegung wertvolle Beiträge geliefert. Er hat diese selbstbestimmte Gewerkschaftsbewegung aus der Vergessenheit gezogen. So auch mit der vorliegenden (bisher) letzten Studie über den Syndikalismus in Südbayern.

Gegen die Geschichtslosigkeit, gegen den Mythos, dass ‚Einzelne’ nichts gegen die herrschenden Verhältnisse bewirken können, stand die marginale anarcho-syndikalistische ‚Freie Arbeiter-Union Deutschlands’ (FAUD). ‚Einzelne’ deshalb, wie Döhring auch aufzeigt, weil sich diese, die vielen ‚Einzelnen’, in dieser Bewegung mit ihren individuellen Anliegen einbringen konnten. Das trotz des auch hier unvermeidlichen ‚natürlichen’ Oligarchisierungsprozesses. Dies hauptsächlich deshalb, weil die libertäre Bewusstseinshaltung der Mitglieder geradezu (nicht nur in ihren Organisationsstatuten) den ‚Pluralismus’ verinnerlicht hatte. Ausdruck davon war u.a. die Vielfalt der Unter- und Nebenorganisationen der FAUD, die buchstäblich versuchten, ihre Autonomie zu behaupten und zu leben. In einer ‚Massenorganisation’ ist das schlicht unmöglich. Stellt sich die Frage: Ist es das Schicksal, eine ‚elitäre’ Minderheitsbewegung zu bleiben? Döhring beantwortet diese Grundsatzfrage nicht, weil seine Arbeit historisch angelegt ist. Aber mit seiner Detailversessenheit belegt er überzeugend Ausmaß und Beschränkung des historischen Anarchosyndikalismus in der Metropole Bayerns und in der südbayerischen Provinz.

Der organisatorische Versuch, eine ‚andere’ Arbeiterbewegung den parteipolitisch ausgerichteten (von SPD und KPD dominierten) und den ‚gelben’ Gewerkschaften entgegenzusetzen, trat in verschiedenen Formen auf: den ‚reinen’ Gewerkschaft FAUD, dem ‚Syndikalistischen Frauenbund’, der ‚Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands’; auf ‚kulturellem Gebiet: die Freien Sänger’, ‚Verein für Sexualhygiene und Lebensreform’, ‚Gemeinschaft proletarischer Freidenker’ u.a.m.; ferner: Mitarbeit und starke Einflussnahme in anderen politischen und kulturellen linken Organisationen.

Der nachhaltige Einfluß des Anarchosyndikalismus konnte von Döhring selbstredend nicht nachvollzogen werden. Mit Verbot und Verfolgung 1933 durch das Naziregime ist dies Experiment einer antistaatlichen Basisgewerkschaft beseitigt worden; ein originäres kulturproletarisches Milieu wurde unwiederbringlich zerstört. Die massive Verfolgung, die Zuchthäuser, Konzentrationslager und auch der hohe Blutzoll der anarchosyndikalistischen Bewegung, ließ u.a. nach 1945 den Anarchosyndikalismus nicht mehr in seiner traditionellen Form als eigenständige Gewerkschaft erstehen.

Döhring legt eine Organisationsstudie vor. Sie zeigt die organisatorischen Verästelungen auf, die einer nichtdogmatischen ‚Bewegung’ selbstverständlich (sind). Daraus ergibt sich für den Historiker allerdings die Schwierigkeit, diesen Verästelungen nachzugehen. Döhring hat dies – trotz prekärer Quellenlage – souverän und akribisch geleistet: Er kann die organisatorischen und personellen Verflechtungen innerorganisatorisch, auf kulturellem Gebiet und darüber hinaus mit der undogmatischen Linken aufzeigen und belegen.

Es ist die Absicht Döhrings, die weitgehend autonom handelnden Individuen in und durch ihre Gewerkschaft vorzuführen: zu zeigen, dass auch ‚Massen’organisationen von der Basis her bestimmt werden können. Mit seiner historischen Studie ist ihm das gelungen.

Döhring, Helge: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Verlag Edition AV, Lich/Hessen 2007, 17 EUR

Aus: Contraste, November 2008, S. 14.

 

Egon Günther

Helge Döhring, Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Lich/Hessen: Verlag Edition AV, 2007, 276 S.

„(…) Helge Döhring unternimmt den Versuch, die von ihm konstatierte Schieflage auszugleichen, die darin besteht, dass bislang in Publizität und Forschung den prominenten Ideenträgern des reinen Anarchismus wie Gustav Landauer und Erich Mühsam und ihrem Wirken in Bayern mehr Stellenwert zukam als denjenigen, die deren freiheitliche Ideen und föderalistischen Vorschläge in den Betrieben und im Aufbau von Arbeiterbörsen vertreten haben. Sein Material fand er, unterstützt von den Mitgliedern des „Allgemeinen Münchner Syndikats der Erwerbslosen und Lohnabhängigen“ (A.M.S.E.L.) und der Münchner „Freien Arbeiterunion“ (FAU), den heutigen Nachfolgern der damaligen Lokalisten und Syndikalisten, bei der Durchsicht von Archivbeständen in Augsburg, Dachau, Moosburg, Erding, Trostberg und München sowie in Kongreßprotokollen und Drucksachen der syndikalistischen Arbeiterbewegung. Helge Döhring ist selbst in dieser Bewegung aktiv, deshalb ist sein Buch parteiisch und gibt nicht vor, Forschung und Bewegung trennen zu wollen, wie es die Verfechter akademischer wissenschaftlicher Standards einfordern, die von einem scheinbar objektiven Erkenntnisinteresse ausgehen. Bereits Ulrich Linse hatte festgestellt, dass der Münchner Arbeiteranarchismus nicht politisch, sondern primär gewerkschaftlich eingestellt war, und er sah darin einen Grund, warum die Syndikalisten bei der Novemberrevolution und in den Geschehnissen der bairischen Räterepublik angeblich kaum eine Rolle gespielt haben. Dennoch wurden bei der blutigen Repression der kommunistischen Räterepublik im Mai auch Mitglieder der „Syndikalistischen Arbeiterföderation“ (SAF) von den Nosketruppen ermordet, und die Münchner Arbeiterbörse führte Sammlungen zur Solidarität mit den verhafteten Räteanhängern und den Opfern der Märzkämpfe im Ruhrgebiet durch. Die vorliegende Regionalstudie geht dem nach und beschreibt die Organisationsstruktur dieser freiheitlichen Strömung der Arbeiterbewegung, die ihren Zusammenhalt in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gegen die zentralistischen Organisationsformen zwar anfangs behaupten konnte, aber in den letzten Jahren der Weimarer Republik dahin geschmolzen ist. Zudem wird auf die außerbetrieblichen und kulturellen Aktivitäten der südbayerischen Syndikalisten, die sich zum großen Teil in der anarchosyndikalistischen FAUD organisiert hatten, anhand erhaltener Nachweise über ihre durchgeführten Veranstaltungen eingegangen: Freidenkertum, syndikalistische Jugend- und Frauenbünde, Freie Sänger usf. werden angesprochen. Einen besonderen Platz nimmt das Porträt des Schreiners und Anarchisten Benno Scharmanski ein, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg der „Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS)“ angehörte und noch bis in die neunziger Jahre hinein jüngeren Genossen mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch der Sekretär der „Internationalen Arbeiter Assoziation“ und Theoretiker des Anarchosyndikalismus, Helmut Rüdiger, wird eigens vorgestellt. Seine „Karriere“ begann in München als Delegierter der Ortsvereine Dachau, München und Trostberg für den 16. FAUD-Kongreß. Zusammenfassende Überlegungen, warum die „originäre proletarische Klassenbewegung“ der Syndikalisten mitunter auch in ländlichen Regionen bei der neu geformten Industriearbeiterschaft, beispielsweise den Chemiearbeitern in Trostberg oder den Arbeitern im Solnhofener Steinbruch, gegenüber den zentralistischen Verbänden punkten konnte, und worin die eigentliche Stärke des Syndikalismus besteht, beschließen den mit einem materialreichen Anhang versehenen Band, zu dem Günther Gerstenberg ein fulminantes Nachwort beigesteuert hat. Beiläufig formuliert es interessante durch das Buch aufgeworfene Fragen nach der Konjunktur des Anarchosyndikalismus, deren Beantwortung vielleicht das Warten auf den Frühling ein wenig kurzweiliger macht: Warum wurde die anarchosyndikalistische Bewegung in Bayern – und wohl auch im übrigen Deutschland – trotz aller Verve, Begeisterung und trotz der vielen Anstrengungen und Opfer ab Mitte der zwanziger Jahre dennoch zu einer Marginalie? Und wo stehen die heute an einer freiheitlich orientierten Bewegung zur Aufhebung der Lohnarbeit Interessierten in einer seither durch und durch umgebildeten Arbeitswelt, in der, die Positionen der Aufklärung vereinnahmend, der Kapitalismus auf Subjekte setzt, die zwar selbständig und flexibel handeln, sich aber dabei mit den Verhältnissen im Einklang befinden sollen?

Aus: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit (AGWA), Nr. 18, Fernwald 2008

 

Jürgen Jenko in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum

Die syndikalistische Bewegung in der „Ordnungszelle“ des Reichs

Helge Döhring: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Lich/Hessen: Verlag Edition AV 2007, 282 Seiten, 17.00 Euro

Nachdem das Phänomen des Syndikalismus, seines Aufstiegs und Niedergangs, in der Geschichtsforschung lange Zeit primär auf makroökonomische Entwicklungen, insbesondere auf Anpassungsprobleme an die wirtschaftliche und soziale Modernisierung zurückgeführt wurde, werden zur Erklärung inzwischen auch die umfassenderen gesellschaftlichen und existentiellen Interessen der Arbeiter in den Blick genommen, „nach dem Aufbau der lokalen Gesellschaft […] und nach dem Raum [gefragt], den sich die Arbeiter in ihr schaffen konnten“. Als eine dezentral aufgebaute Bewegung, für deren Mitglieder die örtliche Bindung und Dimension von besonderer Bedeutung waren, verlangt nämlich gerade der Syndikalismus nach einer lokalhistorischen Untersuchung. (1) Dementsprechend haben vor allem in den letzten Jahren erschienene Studien und Aufsätze über einzelne Ortsgruppe der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) Ursprünge und Entwicklung des deutschen Syndikalismus weiter erhellt und zusätzliche Einsichten bezüglich dessen ideologischer Basis, Organisationssoziologie und sozialer Struktur erbracht.

Helge Döhring, aus dessen Feder bereits Werke über die syndikalistische Bewegung in Ostpreußen, Südbaden und Württemberg stammen, hat sich nunmehr mit der FAUD in Südbayern als der dort „den allergrößten Teil der freiheitlich-emanzipatorischen Richtung“ tragenden Organisation auseinandergesetzt, um die durch die Fokussierung der Historiographie auf die Novemberrevolution und die Münchner Räterepublik, die (anarchistischen) Intellektuellen und Bohemiens seiner Meinung nach entstandene „Schieflage in Forschung wie in Publizität“ (S. 15) kompensieren zu helfen. Zentrales Forschungsanliegen ist es ihm als heutiger Aktivist, vermittels einer Gegenüberstellung städtischer, kleinstädtischer und ländlicher Bedingungen die Frage zu beantworten, unter welchen ökonomischen, politischen und kulturellen Bedingungen die syndikalistische Bewegung florierte und welche Faktoren ihrer Ausbreitung hinderlich waren. Die konkreten Aktivitäten vor Ort sollen dabei mit den allgemeinen Organisationsprinzipien und Weltanschauungen der syndikalistischen Bewegung auf Reichsebene in Beziehung gesetzt werden. Im kulturellen Bereich konzentriert sich die Untersuchung auf die Partizipation von Syndikalisten in der Sexualreform- und Sängerbewegung.

Den größten Teil der Darstellung nimmt die Geschichte der FAUD in München ein. Ihre lokale Vorläuferorganisation, die Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FvdG), konnte vor dem Ersten Weltkrieg nur dort sowie kurzzeitig in Augsburg und Rosenheim Fuß fassen. Wie auf Reichsebene verdiente auch in der bayerischen Hauptstadt das Gros der insgesamt etwa 200 Mitglieder sein Brot in der Baubranche. Während des Ersten Weltkriegs, als die Freie Vereinigung in die Illegalität gedrängt und ihre reichsweiten Verbandsorgane verboten wurden, konnten die organisatorischen Strukturen weitgehend aufrechterhalten und damit die Grundlage für die rasche Rekonstituierung unmittelbar nach Kriegsende gelegt werden. Auf den Verlauf der ersten Revolutionsphase bis zur Niederschlagung der Münchner Räterepublik nahm die Münchner FVdG allerdings kaum Einfluss. Gleichwohl wurden zwei Mitglieder der Syndikalistischen Arbeiterföderation (SAF) am 4. Mai 1919 von Regierungstruppen erschossen.

Der über viele Jahre gewachsene feste Zusammenhalt und die personellen Kontinuitäten vom Kaiserreich zur Weimarer Republik (zu nennen ist hier vor allem der Schreiner Alois Sirch) ermöglichten es der Münchner Ortsgruppe offensichtlich, die Neugründung von Organisationen in der südbayerischen Region zu initiieren. Den Verlust älterer Integrationsfiguren macht Döhring entsprechend als wesentlichen Faktor des stetigen Mitgliederschwundes aus, der einen organisatorischen Konzentrationsprozess in Gang setzte. Bis Mitte der 1920-er Jahre gliederten sich die zahlreichen, zuvor selbständigen Berufsvereinigungen (z.B. der Holzarbeiter, Zimmerer, Isolierer, Steinholz- und Fliesenleger sowie der u.a. bei BMW vertretenen Metallarbeiter) in die SAF, d.h. die Vereinigung aller Berufe bzw. in die Vereinigung der Bauberufe ein.

Den Schwerpunkt der Aktivitäten der Münchner Syndikalisten bildete die Solidaritätsarbeit und Sammlung von Spenden für die Festungsgefangenen und nach den Märzkämpfen im Ruhrgebiet für deren Opfer sowie die Durchführung zahlreicher Veranstaltungen, die ebenso wie die Organisationsinterna detailliert dargestellt werden. Dazu zählte auch die seit 1922 vorbereitete und 1925 realisierte, in einem eigenen Kapitel anhand von Berichten aus der syndikalistischen Presse ausführlich geschilderte Errichtung eines Grabmals für den 1919 nach der militärischen Niederschlagung der Münchner Räterepublik ermordeten Gustav Landauer. Desweiteren engagierten sich die Syndikalisten vor allem in der Freidenkerbewegung (dem Freidenkerverein „Darwin“ bzw. der Gemeinschaft proletarische Freidenker (GpF), bei den Freien Sängern München und im Verein für Sexualhygiene und Lebensreform (VSL) bzw. im Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene. Die Bestrebungen zum Aufbau von Ortsgruppen der syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) und des Syndikalistischen Frauenbundes (SFB) erwiesen sich dagegen als nur kurzzeitig erfolgreich. Eigenständige Tätigkeiten auf betrieblicher Ebene sind nur in Einzelfällen überliefert; im Betrieb waren die Kräfte der Syndikalisten weitgehend fragmentiert, sahen sie sich doch mit der Gegnerschaft des ADGB konfrontiert, die in einem Fall zu einer Arbeitsniederlegung mit dem Ziel der Entlassung eines syndikalistischen Maurers führte.

Im Folgenden wird die Entwicklung der Ortsgruppen außerhalb Münchens geschildert. In Augsburg bestand – wie bereits erwähnt – schon vor dem Ersten Weltkrieg eine Organisation mit etwa 30 Mitgliedern, aber erst 1922 wurden eigene Vereinigungen für Metall- und Textilarbeiter sowie für „alle Berufe“ ins Leben gerufen. Führender Agitator der aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche verstärkt als Ideenbewegung wirkenden Augsburger FAUD war der Kriegsinvalide Johann Blöchl. Weitere syndikalistische Gruppen existierten in Dachau und Erding (alle Berufe), in Moosburg (Zimmerer), Trostberg (Chemiearbeiter der Bayerischen Stickstoffwerke AG), und kurzzeitig sogar im agrarisch geprägten Ostschwaben (Pappenheim, Rögling, Langenaltheim, Tagmersheim, Möhren und Monheim), wo die Gründung das Verdienst der Agitation des ehemaligen Sozialdemokraten und USPD-Anhängers Hans Ramsteck war.

Portraits des Schreiners Benno Scharmanski (1906-1998), der der syndikalistischen Holzarbeiterföderation und den Freien Sängern angehörte, 1933 im KZ Dachau inhaftiert und nach 1934 Mitglied der Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS) war und Helmut Rüdiger, der 1925-1928 in München wohnte, später als Redakteur des FAUD-Organs „Der Syndikalist“, Mitglied der Geschäftskommission und Sekretär der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) fungierte, schließen den Hauptteil der Darstellung ab.

Anhand einer statistischen Auswertung der Altersstruktur und der Branchenzugehörigkeit kommt Döhring zu dem Ergebnis eines im Vergleich mit den übrigen Ortsvereinen deutlich höheren Durchschnittsalters der Münchner Mitglieder, bei denen es sich vielfach um ehemalige Sozialdemokraten handelte. Neben dem Freidenkerverband war nämlich auch die anarchistische Bewegung zum Sammelbecken zahlreicher oppositioneller Parteimitglieder geworden, die unter dem Parteivorsitz Georg von Vollmars einer rigorosen Ausschlusspraxis zum Opfer gefallen waren. Bei den Bauarbeitern in München werden von ihm insbesondere die lange Tradition des Ortsvereins, seine starke Verankerung innerhalb der Branchenföderation und seine zentrale Bedeutung für die syndikalistische Bewegung Südbayerns als der Organisierung in der FAUD förderlich angesehen, während der Austritt der Trostberger Chemiearbeiter in den 1920er Jahren auf ihre innerorganisatorische Isolation zurückgeführt wird. Aufgrund der auch in Württemberg gewonnenen Resultate entwirft er folgende Formel für die erfolgreiche Konstituierung des Syndikalismus: Syndikalismus = Industrialisierungsgrad – zentralistische Arbeiterorganisationen (S. 186). Relative Stärke konnte die FAUD demzufolge außerhalb der traditionellen Hochburgen der Lokalisten wie München und spezifischer, überproportional repräsentierter Berufsgruppen nur noch in gewerkschaftlich nicht im organisierten Neuland wie dem Ruhrgebiet, Schlesien und Industriedörfern wie Trostberg erlagen. Dort, wo die Freien Gewerkschaften bereits Fuß gefasst hätten wie in Augsburg und Erding, hätte die FAUD kaum oder keinen Boden mehr gewinnen können. Generell wäre ihr weiterer Erfolg dann von der Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der vereinten Konkurrenz der Kapitalisten, Sozialdemokraten, Kommunisten und oftmals auch des Militärs abhängig gewesen. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob diese Exklusionsprozesse im Verhältnis zu den politischen und sozialen Antipoden nicht auch konstitutiv für die Herausbildung einer kollektiven Identität und damit gleichermaßen ein zentraler Mobilisierungsfaktor waren.

Der Anhang beinhaltet ein Nachwort Günter Gerstenbergs vom Archiv der Münchner Arbeiterbewegung über die ungeschriebene, von der „weiß-blauen Historikerzunft“ ignorierte Geschichte der Widerständigen in Baiern, des „anderen Baiern“, Auflistungen der Mitgliederzahlen der Gesamtorganisation, der SAJD sowie der Ortsvereine in Südbayern, Nachrufe auf Gustav Landauer aus der Feder Victor Fraenkls, Fritz Oerters, Helmut Rüdigers, Erich Mühsams und Augustin Souchys, grundlegende statuarische Bestimmungen der Gesamtorganisation und schließlich einen detaillierten Index der Personen und Treffpunkte.

Insgesamt handelt es sich um eine präzise recherchierte, u.a. auf der Auswertung von Beständen der bayerischen Staats- und Kommunalarchive sowie der anarchistischen und syndikalistischen Presse basierende Arbeit. Sie bleibt allerdings sehr stark einer konventionellen organisationsgeschichtlichen Darstellungsweise verhaftet und differenziert nicht immer hinreichend zwischen der Geschichte, Theorie und Programmatik der syndikalsitischen Bewegung auf Reichsebene und der lokalen bzw. regionalen Entwicklung der FAUD in Südbayern, neuere Forschungsansätze und Fragestellungen, die insbesondere in den letzten Aufsätzen von Bert Altena und Marcel van der Linden thematisiert werden, werden ebenso wie die Frage nach der Bedeutung des nachinflationären Wandels der sozioökonomischen Rahmenbedingungen für die Marginalisierung der syndikalistischen Bewegung kaum aufgegriffen. Die Einordnung in die Geschichte der Arbeiterbewegungen in München bzw. Südbayern fällt gerade vor dem Hintergrund der spezifischen politischen Verhältnisse in der „Ordnungszelle“ Bayern sehr knapp aus.

Jürgen Jenko

Aus: Prof. Dr. Klaus Tenfelde, Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum (Hg.): Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen, Forschungen und Forschungsberichte, Nr. 40 (2008)

(1) Bert Altena: Zur Analyse des revolutionären Syndikalismus, in: Mitteilungsblatt des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung (IGA) 22 (1999), S. 5-35, hier S. 25f., 34

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