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Mitschrift Radio Interview mit der "Wüsten Welle" aus Tübingen vom 31.Januar 2007

„Syndikalismus im Ländle“. So heißt unsere heutige Sendung, herzlich willkommen.

Syndikalismus im Ländle so heißt die heutige Sendung, und dazu blicken wir zuerst in die Vergangenheit, hierzu haben wir ein Interview mit Helge Döhring. Er hat die anarcho-syndikalistische FAUD in der Weimarer Republik hier im Ländle untersucht.

Anschließend blicken wir noch in das hier und jetzt. Im 2. Teil der Sendung gibt es nämlich noch einige nützliche Tipps zum Verhalten auf der Arbeitsagentur.

Syndikalismus ist eine Weiterentwicklung des Gewerkschaftssozialismus. Der Syndikalismus propagiert die Aneignung von Produktionsmitteln durch die Gewerkschaften. Dabei bilden Streik und Sabotage der die Mittel der Syndikalisten. Der Syndikalismus war als Gewerkschaft strikt dezentral föderalistisch aufgebaut und basisdemokratisch organisiert. Parlamentarisch Anstrengungen wurden abgelehnt. Stark war der Syndikalismus vor allem in romanischen Ländern, wie Frankreich oder Spanien. Hier besonders in der Kombination mit den Ideen der anarchistischen Arbeiterbewegung. Anarcho-Syndikalismus nennt man das. Und was sich dahinter verbirgt, haben wir bereits in der letzten Sendung vor vier Wochen versucht zu beleuchten.

Doch nicht nur in anderen Ländern der Welt gibt es basisdemokratische Gewerkschaften. Nein, auch direkt vor unserer Haustür, hier bei uns im Ländle. In der nächsten dreiviertel Stunde hört ihr, hören sie ein Interview mit dem Historiker Helge Döhring. Er ist Autor des Buches „Syndikalismus im Ländle“. Geforscht hat er über die Zeit der Weimarer Republik Er fand heraus, dass es syndikalistische und anarcho-syndikalistische Gruppen nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Dettenhausen, Reutlingen und Pliezhausen gab. Und wird uns über die Arbeit und die Probleme der Syndikalisten hier in der Region berichten. Das Interview haben wir der besseren Hörbarkeit wegen in vier Teile aufgeteilt. Im ersten Teil des Interviews gehen wir den Fragen nach, wo überall es Anarcho-Syndikalismus gab, und was die Aktionen und die Probleme der damaligen Aktivisten waren.

Du hast ja das Buch geschrieben „Syndikalismus im Ländle“.

Ja

Und meine erste Frage wäre, wir sind ja hier in Tübingen für die Tübingerinnen und Tübinger. Wo überall gab es denn hier so was wie Anarcho-Syndikalismus?

Anarcho-Syndikalismus. Anarcho-Syndikalismus bezieht sich oder bezog sich damals immer auf die „Freie Arbeiter Union Deutschlands“, die FAUD, da die Abkürzung hier nachher noch öfter vorkommt, merkt euch einfach. Das bedeutet immer „Freie Arbeiter Union Deutschlands“. Und diese hatte bestimmte Ortsvereine. Und mein Untersuchungszeitraum der erstreckte sich von 1918 bis 1933, also die Weimarer Zeit. Und innerhalb dieser Zeit gab es von der FAUD Ortsvereine, fangen wir mal beim Neckar oben an. In Heilbronn gab’s welche, die waren ganz rege und aktiv. Dann im damals noch eigenständigen Ortsteil Böckingen gab’s welche. Holzarbeiter waren da ganz aktiv. Wenn wir dann mal den Neckar so ein bisschen runterfahren, kommt dann irgendwann schon Ludwigsburg, Stuttgart. Da waren sie natürlich ganz fett, weil dort die Industrialisierung schon ganz weit fortgeschritten war. Und natürlich auch in einigen Stadteilen von Stuttgart, die damals noch eigenständig waren, wie z.B. Feuerbach oder Eltingen oder Gablenberg und daran schließt sich auch gleich Esslingen an, da gab es noch eine kleine rührige Gruppe Dann gehen wir mal gen Osten rüber. Da sehen wir dann Göppingen, da waren sie recht stark, auch vor dem ersten Weltkrieg schon. Eislingen schließt sich an, eine kleine Ortschaft bei Göppingen. Dann gehen wir etwas weiter an die Donau, finden dort Ulm. Sehr schwach industrialisiert. Ulm auch eher alles andere als eine Arbeiterstadt. Deswegen gab es da nur eine kleine rührige Gruppe, die sich eher um die Ideen gekümmert hat und die verbreitet hat.

Wenn wir dann Richtung Tübingen gehen, dann haben wir davor Reutlingen, eine Arbeiterstadt. Allerdings konnte ich dort auch nur von 1922 eine Gruppe nachweisen. Die hat nur ganz kurz existiert. Tübingen selber war wohl damals schon Studentenhochburg also keine Anarcho-Syndikalisten, keine FAUD. Das Bildungssyndikat gab’s damals noch nicht. Das waren da eher so reine Arbeiterorganisationen. Aber um Tübingen herum gab es dann noch kleinere Ortschaften, wie Dettenhausen. Dort gab es über einige Jahre eine Gruppe. Und dann ganz interessant in Pliezhausen. Pliezhausen damals im Prinzip auch nur so ein Industriedorf. Allerdings gab’s dort Kaminbauer, Bauarbeiter, wo die FAUD sehr stark war mit 60 Mitgliedern. In einem Dorf, wo es nicht mal 1000 Einwohner hatte zur damaligen Zeit. Ja, Reutlingen, Tübingen hatten wir eben. Dann gehen wir noch ein bisschen weiter runter Richtung Schwäbische Alb und sehen dann Albstadt, das hieß damals Ebingen, da gab es einen kleinen Ortsverein. Gehen dann noch weiter runter auch an die Donau wieder, sehen wir Tuttlingen, da gab es einen ganz kleinen Ortsverein. Und dann sind wir eigentlich auch schon beim Bodensee. Das gehört dann zwar nicht mehr zu Württemberg, was ich vornehmlich erforscht hab. Aber ich dachte mir. Das nimmste noch mal mit. Und da gibt’s es noch die Ortschaften wie Konstanz, Singen, Rheinau, und dann wieder so ein kleines Industriedorf namens Gottmadingen, da gab es dann auch noch FAUD-Ortsvereine. Ja, das war so der Rundumblick

Frage: Vielleicht kannst du kurz zusammenfassen, was denn so die Aktionen waren, Was hat denn die FAUD damals hier im Ländle gemacht?

Ja, es gibt, also ich eine klassische Unterteilung vorgenommen. Ich hab einmal die Aktivitäten zusammengefasst, die sie auf betrieblicher Ebene gemacht haben, und zum zweiten die Aktivitäten, die sie eher auf kultureller Ebene unternommen haben. Weil sich die FAUD ja sowohl als Interessen- als auch als Ideen und Kulturorganisation verstanden hat.

Auf betrieblicher Ebene sahen die Voraussetzungen erstmal sehr ungünstig aus für die Anarcho-Syndikalisten, weil die Anarcho-Syndikalisten nur dort so richtig stark werden konnten, und sich in Betrieben verankern, konnten, wo a) die Industrialisierung in ihrem Anfangsstadium stand, d.h. wo andere konkurrierende zentralistische Arbeiterorganisationen noch nicht Fuß gefasst hatten, sprich, wo es noch keine großartige sozialdemokratische Partei gab und wo es noch keine groß angelegte sozialdemokratischen und sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften gab. Sprich „Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund“ und dessen Unterverbände. Das bedeutet konkret für die einzelnen Städte, dass beispielsweise in Stuttgart oder auch in Göppingen, aber auch in Heilbronn die Anarcho-Syndikalisten mit ihrem Organisationsansatz etwas zu spät kamen. Dort existierte bereits eine traditionsreiche sozialdemokratische Bewegung, die sehr zentralistisch ausgerichtet war. Und die eben in den Betrieben schon soweit Fuß gefasst hatten, dass sie jede andere Betätigung oder jeden anderen Organisationsversuch in einem Betrieb austilgen konnten. Also das sah beispielsweise so krass aus, dass wenn zwei, drei Syndikalisten in einem Betrieb waren, und die Sozialdemokraten, die Funktionäre davon Wind bekommen haben, die auch in dem Betrieb beschäftigt waren. Dann gingen die Sozialdemokraten soweit, dass sie gesagt haben: OK, ihr lieben Syndikalisten, wenn ihr nicht sofort unserer Zentralgewerkschaft beitretet und aus der FAUD austretet, dann werden wir streiken, damit der Chef euch rausschmeißt. Das sind so Höhepunkte, die ich herausfinden konnte. Und so können wir uns vorstellen, dass die Syndikalisten, ich sag immer Syndikalisten, statt Anarcho-Syndikalisten, weil mir das besser liegt, so können wir uns vorstellen, dass sie innerbetrieblich einen schweren Stand hatten. Und sich folglich dort nur behaupten konnten, wo sie möglichst ungestört von dieser sozialdemokratischen Konkurrenz bereits einen soliden Grundstock aufbauen konnten und solide Betriebsgruppen. Und das war in vergleichsweise wenigen Städten in Württemberg der Fall. Eine interessante Ortschaft gibt es. Ich hab sie vorher angesprochen. Das war Pliezhausen. Pliezhausen zwischen Tübingen und Stuttgart. Heute, glaube ich keine 10.000 Einwohner, das ist immer noch ein Dorf geblieben. Dort waren sie in Spezialberufen aktiv. Das waren Bauarbeiter, Kaminbauer. Die haben sich schon sehr früh ihre speziellen Fähigkeiten nicht nur zueigen gemacht, um damit ihr Geld zu verdienen, sondern eben auch um ihren Beruf, und damit eben auch ihre eigene Gewerkschaft zu verteidigen. Und das ist ihnen offenbar auch gut gelungen, das sie gerade auch in Pliezhausen in ihrem Beruf als unersetzbar galten, als Kaminbauer und somit eben auch gegen sozialdemokratische Funktionäre oder gegen sozialdemokratische Arbeiterschaft nicht ausgetauscht werden konnten. Ja, Wo es den Syndikalisten eben nicht gelang, außer in Pliezhausen, und vielleicht noch einigen anderen kleineren Bereichen und Städten, nicht Fuß zu fassen, da haben sie dann versucht, als Kulturbewegung Oberwasser zu gewinnen und die Interessenten und die Kollegen über kulturelle Vereinigungen anzusprechen, z.B. über Büchergilden oder auch über Organisationen in der Freidenkerbewegung , das wäre hier die Gemeinschaft proletarischer Freidenker. Nun ist es ja damals so gewesen wie heute, dass man als Interessenorganisation schon einen Haufen mehr Leute ansprechen kann, die einem vielleicht politisch oder ideell noch gar nicht mal so nahe stehen müssen, was als Kulturbewegung denn sehr schwierig ist. Kultur ist auch erstmal so Freizeit. Das ist so schön unverbindlich. Da muß man nicht jeden Tag auf der Matte, auf der Arbeit stehen. Das reizt nicht so viele Leute. Und deswegen ist meine These eben auch, dass wo die FAUD nicht als betriebliche Organisation, als Gewerkschaft Fuß fassen konnte, dass sie da im Prinzip auch aus dem Hintertreffen nicht mehr herauskommen konnte. Das hat sich dann in der Forschungsarbeit auch bestätigt.

Gibt’s denn dazu Erhebungen, welche Berufsgruppen sich da organisiert hatten, oder war das quer durch die Bank?

Ja, ich hatte eben die Bauarbeiter angesprochen, und die Bauarbeiter waren tatsächlich auch tatsächlich die Basis der FAUD, das galt auch reichsweit. Weil sich in der alten Sozialdemokratischen Bewegung, aus der die Syndikalisten ja ursprünglich auch kamen, die Bauarbeiter besonders als Lokalisten hervorgetan haben und gesagt haben und gesagt haben: Nein, den Zentralismus der sozialdemokratischen Partei lehnen wir ab, und den der Gewerkschaften. Von daher sind die Bauarbeiter historischer Kern der FAUD reichsweit, und das merkt man dann auch hier in Württemberg. Aber sie waren natürlich nicht nur in den Bauberufen vertreten, sondern hatten auch eigene Föderationen in Württemberg im Metallbereich und im Verkehr, (…) und für alle Berufe, wo noch keine 25 oder 30 Arbeiter zusammenkommen konnten, um sich zu einem Syndikat zusammenzuschließen, da gab es immer eine Vereinigung aller Berufe, die dann offen waren für alle möglichen Berufsarten.

Musik

Soweit der erste Teil des Interviews mit Helge Döhring. Er ist Historiker und Autor der Buches „Syndikalismus im Ländle“. Es beschäftigt sich mit der anarchistischen Basisgewerkschaft FAUD in Württemberg während der Weimarer Republik. Wir haben gerade gehört, wo es hier im Ländle überall Ortsgruppen gab. Und bevor wir weitermachen mit den Fragen, wie viele Leute hier in Württemberg syndikalistisch organisiert waren und wie sich Frauen in der Bewegung wiederfanden, erst noch ein paar Takte Musik.

Musik

2. Teil

Ja, ihr hört immer noch die Sendung Black Star FM. Und wir machen weiter mit dem zweiten Teil des Interviews zu Anarcho-Syndikalismus hier bei uns im Ländle. Wir haben gerade gehört, wo es hier im Ländle überall Ortsgruppen gab. Nun geht’s weiter mit den Fragen, wie viele Leute in Württemberg syndikalistisch organisiert waren und wie sich Frauen in der Bewegung wiederfanden.

Wie viele Leute waren denn hier im Ländle ungefähr in der FAUD organisiert. Kann man das abschätzen?

Es gibt immer verschiedene Hinweise und Quellen darauf. Also die Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg war eine sehr wirre Zeit. Viele Frontkämpfer kamen in die Heimat zurück. Einige waren gestorben. Da waren also bis 1920/21 war so eine Phase der Suche, würd ich mal sagen. Und das schlug sich auch nieder in der Organisationssuche. So war es also, wenn ein Arbeiter gesagt hat, ich gehe jetzt zur FAUD, weil sein Kollege im Betrieb ein ganz zuverlässiger und guter Kamerad ist, dann hieß das nicht, dass er bei der FAUD bleiben mußte, sondern er ging evtl. noch mal zur USPD kurz, dann ist er zur KPD gegangen, also USPD war die linken Sozialdemokraten, KPD kommunistische Partei, und die sind oft noch gesprungen Anfang der zwanziger Jahre. Das ganze legte sich dann eher gegen Mitte der 20 er Jahre. Das bedeutet für die Mitgliederzahlen, dass sie für Anfang der 20 er Jahre noch recht schwammig sind. Eine schwammige Zahl habe ich aus den Polizeiarchiven heraus, besagt etwas um 2.000 Anarcho-Syndikalisten um 1919 herum, ungefähr 2.000, etwas über 2.000 für ganz Württemberg. Für Stuttgart waren es in jedem Falle einige Hundert. Ich kann es ungefähr ohne Zahlenangabe dann doch ein bisschen gewichten. Stuttgart war in jedem Fall das Zentrum des Anarcho-Syndikalismus. Danach kam gleich Heilbronn als Industriestadt. Heilbronn ganz interessant, weil die Syndikalistischen eben dort auch an den Streikausschüssen und Generalstreikausschüssen und Komitees beteiligt waren aktiv. Da habe ich auch Namen herausgefunden. Und sie waren in Heilbronn auch sehr stark als Kulturbewegung aktiv. Dann gab es kleine, kräftige, rührige Gruppen in Göppingen auch Ulm. Aber ich hab’s im Prinzip eben schon genannt. Der Rest waren im Prinzip Gruppen von vielleicht 10 bis 20 Leuten jeweils.

Frage: Jetzt waren es ja quasi bei der großen Schwester der FAUD, der CNT in Spanien so, dass sich dort ja eine eigenständige Frauenbewegung, kann man schon sagen, herausgebildet hat, die Mujeres libres. Und gab es da ähnliche Ansätze bei der FAUD? Oder waren Frauen überhaupt vertreten in der FAUD?

Ja, Zahlen habe ich ungefähr auch, nur ist das, ja, man darf das mit dem heutigen nicht so ganz messen und vergleichen, weil das Kulturbewußtsein, das Kulturverständnis das hat sich in dieser Frage einfach total gewandelt. Und auch die soziologischen Verhältnisse haben sich total gewandelt. Heute sind Familien gang und gebe, wenn es überhaupt noch Familien gibt, dann sind die mit ein, zwei, höchstens drei Kindern unterwegs. Das war damals etwas anders. Da hatten Arbeiterfamilien mindestens sechs Kinder, davon starben einige frühzeitig. Die Frauen wurden eigentlich mehr angeheiratet, als dass sie noch eine Berufsaufbildung erhielten. Auch die sozialen Absicherungen waren noch ganz andere. Und natürlich das kulturelle Verständnis und Bildnis, das Bild von Geschlechtern war noch ein ganz anderes. Von daher also mit heute, mit Spanien ist das, glaube ich, auch schwer zu vergleichen, und deswegen tue ich mich immer schwer mit diesen Zahlen, wenn man das mal so direkt vergleichen will. Ja, ich hab eine Zahl vorliegen, und in Württemberg waren da ungefähr 5 % der Anteil der Frauen an der Gesamtbewegung. Ja, also Frauen waren damals ja eher, ja es waren einfach Ehefrauen, die für die Familien gesorgt haben. Und dafür gesorgt haben, dass der Haushalt zusammenblieb, weil die Männer ja eben auch teilweise sehr schwere Arbeitsbedingungen hatten. Die Arbeitszeiten waren viel länger Der Samstag war nicht frei usw. Das heißt, diese ganze Familienstruktur war eine komplett andere. Das muß man immer mitbedenken, wenn man forscht über historische Frauenbewegung oder auch gerade Arbeiterbewegung. Wer was zur bürgerlichen Frauenbewegung macht, der hat ganz andere Voraussetzungen. Aber bei der proletarischen Frauenbewegung oder hier gerade bei Syndikalistischen Frauenbund, das war die Organisation der FAUD der Frauen, da gab es für ganz Deutschland eine. Dann ist das immer nicht ganz so einfach. Also Frauen hatten eine ungleich höhere Belastung als heute. Und von daher waren die Voraussetzungen für eine Eigenaktivität, für eine Eigenorganisation denkbar schlecht. Frauen, die es dennoch geschafft haben und dennoch sich die Mühe gemacht haben, die gab es auch in der FAUD. Und die waren auch in ganz unterschiedlichen Bereichen aktiv, also auch in Württemberg. Ich habe immer nur einige gefunden. Das waren nicht so viele insgesamt, die auch mit Namen. Aber sie hatten z.B. Funktionen als Reichskongressdelegierte, wo sie dann als einzelne Vertreterinnen z.B. hingefahren sind. Und dann wirklich den ganzen Raum Stuttgart vertreten mussten. Und so ein Kongress, so ein Reichskongress ist eine ziemlich komplizierte Sache. Und da muß man als Delegierter oder hier als Delegierte schon sehr eingeweiht, sein, und sehr viel auf dem Kasten haben, um dort die Genossinnen und Genossen auf dem Reichskongress gut vertreten zu können. Desweiteren habe ich eine Frau in der Widerstandsgruppe nach 1933 gefunden. Die „Widerstandsgruppe Württemberg“. Das ist auch eine Sache, die in der Forschung bisher noch nicht so behandelt worden ist. Da gab es aber eine feste Widerstandsgruppe. Dort war eine Frau aktiv. Und es gab natürlich auch den Versuch, immer mal wieder, einen „Syndikalistischen Frauenbund“ in Stuttgart aufzubauen, 1923 /26. Die sind beide Male schnell wieder eingestellt worden. Und dann gab es auch Beteiligung von Frauen in den Jugendgruppen. Das war die „Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands“. Und auch dort habe ich sie gefunden, d.h. auch flächendeckend waren sie vertreten und aktiv.

Soweit der 2. Teil des Interviews mit Helge Döhring. Er ist Historiker und Autor der Buches „Syndikalismus im Ländle“. Es beschäftigt sich mit den Anarcho-Syndikalisten in Württemberg während der Weimarer Republik. Wir haben bereits gehört, wo es hier im Ländle überall Ortsgruppen gab, und wer sich alles in den basisdemokratisch, anarchistischen Gewerkschaften organisierte. Bevor wir gleich noch den Fragen nachgehen, was so die Probleme der hierarchiearmen Gewerkschaft mit autoritären Arbeiterorganisationen waren. Erstmal ein paar Takte Musik

Musik

Syndikalismus im Ländle ist das Thema unserer heutigen Sendung. Syndikalismus war eine basisdemokratische revolutionäre Gewerkschaftsbewegung, die sich vor über 100 Jahren mit den Ideen und Utopien des Anarchismus verband. Und die es auch hier in der Region gab. Wir haben bereits gehört, wo es überall Ortsgruppen der Gewerkschaftsbewegung gab. Wer sich in ihnen organisierte. Und wie sich die ArbeiterInnen organisierten. Im folgenden geht der Autor des Buches „Syndikalismus im Ländle“ näher auf die Probleme mit autoritären Gruppen ein.

Gab es denn eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppen außerhalb der Syndikalisten?

Ja, dazu mich ich erstmal sagen, das ist erstmal relativ schwierig, weil die Syndikalisten erst Mal immer sehr auf sich alleine gestellt waren. Ja, ich unterscheide da, die aktiven haben damals auch immer unterschieden, zwischen Zentralismus und Föderalismus. Auf der einen Seite gab es die Zentalisten, auf der anderen Seite die Föderalisten. Und alles was Zentralismus beinhaltete, alle diese Organisationen, die das befürworteten, waren Gegner der Syndikalisten und haben die Syndikalisten als ihre größten Feinde betrachtet. So geht es jedenfalls immer wieder aus den Quellen hervor. Das Zentralistische Organisationen unter sich, die konnten sich irgendwann immer noch mal einigen, konnten immer noch mal irgendwann Verträge abschließen, kurz bestechen oder irgendwie so was.

Aber sobald Syndikalisten ins Spiel kamen oder auch nur angedeutet wurde, das in irgendeinem Betrieb Syndikalisten sein könnten, dann sind die rot geworden und haben auch rot gesehen. Dann war es ganz schnell vorbei mit aller Toleranz. Syndikalisten hatten Gegner überall. Also auch innerhalb der organisierten Arbeiterschaft.

Bei den zentralistischen Funktionären, ganz egal, ob sie der SPD angehörten, ob sie die KPD angehörten oder auch noch anderen Organisationen. Das waren ausgesprochene Gegner.

Wie erklärst du dir das?

Ja, das müsste ich vor allem psychologisch erklären. Es gibt ja immer so eine Art Führerglauben. Also der Führer ist so die Art heilige Kuh, der wird irgendwann die Erlösung bringen. Wenn denn irgendjemand kommt, und dir das Bild zerstört. Dir wird die Erlösung genommen. Die kommt nicht die Erlösung. Deinen Führer kannste vergessen. Dann köpfe ich den Boten, der mir das sagt. Also ich will die Realität nicht sehen und bin sauer auf den, der mit die Realität sagt. So, und das ist der Syndikalismus. Das heißt, das ist erstmal eine ganz schlechte Ausgangsvoraussetzung für die Syndikalisten gewesen, Illusionen zu zerstören. Man muß ja bedenken: Es waren viele alte sozialdemokratische Arbeiter.

Die haben für die sozialdemokratische Partei 30, 40 Jahre lang gekämpft, haben für die Partei im Knast gesessen, haben ihre Kinder vielleicht verloren, wegen ihrer Arbeit, haben im Prinzip ihr ganzen Leben der Partei geopfert. Und wenn sie dann merken, sie werden desillusioniert, also gerade nach dem 1. Weltkrieg, wo die SPD richtig übel drin verstrickt war, und dann noch auf die Nase gebunden zu bekommen: „Ja, hier! Warum bist du in der SPD organisiert?! Das ist doch Blödsinn, was du machst!“ Dann köpft man gerne mal den Boten, der einem das sagt. Das ist auch ja auch wirklich eine Katastrophe im Prinzip für die. Was allerdings die Führer angeht, der SPD. Die fürchteten natürlich ganz klar um ihre Pfründe, weil, die haben sich ja mittlerweile eingerichtet in ihrem Apparat, also gerade die Gewerkschaftsführer auch auf mittlerer Ebene. Die lebten ja recht gut davon und hatten eben auch eine recht gute soziale Absicherung daraus. Selbiges galt für KPD- Funktionäre, die allmählich, ja auch im Verlauf der zwanziger Jahre von ihren putschistischen Absichten eher abrückten und sich auch eher einrichteten in der Republik. Ja, und Syndikalisten, Anarcho-Syndikalisten sind Aktive, die auf den kulturellen Bereich einen großen Wert legen. Sprich, wenn man einer anarcho-syndikalistischen Bewegung beitritt, oder wenn diese in einem Betriebe Fuß fasst, dann hat man vielleicht auch im eigenen Leben einiges umzustellen, was ansonsten ganz bequem wäre, es so weiterzuführen. Es sind eben viele verschiedene Reibungsfaktoren. Aber ich denke, so der erste Grund ist auch so die Angst gewesen vor neuem. Ja, also wenn ich 20 Jahre lang Funktionär oder auch nur gutes Mitglied in einem Zentralverband bin, und mich da wohl fühle, dann will ich einfach meine Sicherheit nicht riskieren. Und wenn dann Syndikalisten ankommen, die ich nicht einschätzen kann, weil es da eben kaum Führer gibt, also die ich nicht greifen kann nicht berechnen kann, dass kriege ich es mit der Angst. das heißt, viele Aktionen gegen die Syndikalisten waren vielleicht auch erst mal so Angstreaktionen gewesen. Also das ist ein sehr kompliziertes Feld, das zu erklären. Ich kann es hier nur so ein bisschen andeuten, was vielleicht die Beweggründe waren für ein solch aggressives Verhalten.

Soweit der Historiker Helge Döhring. Er ist Autor des Buches „Syndikalismus im Ländle“. Und bevor wir nun zum vierten und letzten Teil des Interviews kommen, zur Entspannung noch ein paar Takte Musik

Musik

Kommen wir nun zum letzten Teil unseres Interviews, über den Anarcho-Syndikalismus hier in der Region während der Weimarer Republik.

Wie war die internationale Zusammenarbeit? Wurde da z.B. gab’s da regen Austausch mit anderen Ländern, z.B. mit Spanien oder Frankreich oder wie sah es da aus?

Ja, gut zur damaligen Zeit muß man auch wieder die veränderten Bedingungen heranziehen. Heutzutage ist das ja alles recht einfach heute gibt’s ja Internet. Heute gibt es schnelle ICE Verbindungen usw. Damals war es eben noch ein bisschen anders und das bedeutete, die Mitgliederbasis blieb weitestgehend auch dort. Also es kann sein, dass in Pliezhausen oder in Böckingen oder sonst wo, dass dort ein Arbeiter im Prinzip noch nie mit einem Genossen aus einer anderen Mitgliedssektion gesprochen hat, geschweige denn ihn gesehen hat. Es wird wohl überwiegend so gewesen sein. Es gab dann einzelne Mitglieder, die dann auch öfter mal Delegiert waren z.B. zu den Reichskongressen, was ich schon erwähnt hatte, die dann natürlich auch noch mal in Kontakt getreten sind. Es gab ab und zu mal Rundreise. Emma Goldmann war, wie gesagt, mal in Heilbronn, und auch in Stuttgart in Göppingen usw. Da gab es natürlich auch die Möglichkeiten, sich direkt mal auszutauschen. Aber die hauptsächliche Informationsquelle waren die Periodika der FAUD, die auch bezogen werden mussten. Also jedes FAUD- Mitglied hat auch Beitrag gleichzeitig für das Organ „Der Syndikalist“ abgeführt den er dann obligatorisch bezogen hat. Und der Syndikalist, der war gespickt mit internationalen Berichten von hoher Kompetenz. Also jedes FAUD- Mitglied hatte eine gute Möglichkeit, sich einen wirklich guten Überblick weltweit zu verschaffen über die Bewegung. Sich den Überblick zu verschaffen heißt nicht, gleichzeitig auch viel Beitragen zu können. Also es war eher so eine „one way Kommunikation“. Weil es damals eben die technischen Möglichkeiten so noch nicht gab. Das muß man sich halt ein bisschen anders vorstellen damals, Heutzutage kann man ins Internet gehen, kann selber seine Beiträge schreiben, in diversen Foren usw. Und man muß natürlich auch bedenken, dass damals noch die Schulbildung eine ganz andere war. Also damals hat man nicht von Grund auf Englisch gelernt oder sogar eine zweite Fremdsprache. Das kommt eben auch noch mit dazu, so dass die Kommunikation ins Ausland doch im Allgemeinen immer noch über Zentrale Übersetzerstellen gingen. Und die Übersetzerstellen, das waren im Prinzip die Leute um die Geschäftskommission herum, in Berlin. Die einzelnen Redakteure, die mal für den „Syndikalist“ geschrieben haben, oder auch für eine andere Zeitschrift namens „Die Internationale“, auch eine FAUD- Zeitschrift. So das die Mitgliederbasis eigentlich eher eine Zuhörerschaft, war, als das sie interaktiv gewirkt hat.

Vielleicht als fast schon Abschlußfrage. Vielleicht kannst du ganz, ganz kurz noch zusammenfassen, was du kritisieren würdest an der damaligen FAUD.

Ja, darüber habe ich mir natürlich lange Gedanken gemacht. Sprich: Was kann ich dem hinzufügen, dass es einfach unheimlich schwierig war, damals Fuß zu fassen und sich zu erweitern. Und ich hab da im Prinzip nicht allzu viel finden können, was sie hätten besser machen können oder wie sie was hätten besser machen können. Entweder sind sie sofort weggebrochen, was nach ein paar Jahren an bestimmten Orten. Ja, oder sie haben tatsächlich ein bisschen was geschafft. Und dann kam der Faschismus. Ja, so konkrete größere Punkte hab ich da gar nicht. Ich denke, sie haben alles gegeben, sie haben alles versucht, was machbar war, was auf betrieblicher Ebene nicht mehr möglich war, haben sie auf kultureller Ebene noch mal versucht. Haben auch wirklich viele Ideen entwickelt. Haben alles gegeben. Das konnte ich an einzelnen Biographien noch mal gut nachvollziehen. Also die haben wirklich dafür gelebt, und voll reingehauen. Und es hat einfach nicht gelangt. Es hat dann einfach nicht geklappt.

Wenn ich wüsste, was sie annähernd, großartig falsch gemacht hatten, dann wäre ich sehr glücklich. Dann könnte ich nämlich einiges mehr verstehen und auch für die heutige Zeit einiges mehr daraus ziehen. Aber ja, ich bin da eher an so einem Patt angelangt.

Und wie findet man eigentlich Material über die FAUD von damals, also gerade im Ländle. Also wenn du sagst, es gab zwei Zeitungen, dann waren die ja doch reichsweit. Wie kommt man da an Informationen, z.B. über Pliezhausen?

Ja, über Pliezhausen ist eine sehr gute Sache. Über Pliezhausen wollte ich übrigens noch viel mehr Informationen haben. Ich war in der Stadt selbst, im Rathaus. Ich habe den Heimatverein angefragt, mehrmals. Ich hab die Stadtverwaltung mehrmals angefragt auf mögliche Archive dort. Und ich habe dann einfach keine weiteren Antworten erhalten. Also ich weiß nicht, ob die da vielleicht irgendetwas zu verbergen haben, ob da irgendetwas zu holen ist. Ich hoffe es sehr. Also jeder, der sich für Pliezhausen interessiert, sollte sich auf jeden Fall die Mühe machen, da noch weiteres herauszufinden. Weil dort liegt wahrscheinlich noch einiges im Verborgenen. Wie gesagt, der Organisationsgrad war dort sehr hoch, der Syndikalisten. Gut, das mal so als Anregung. Wenn man einfach so mal was erfahren möchte, dann schnappe man sich zunächst so man denn rankommt eben diese Presse, die ich eben schon genannt hatte. Dort gibt es regelmäßige Veröffentlichungen der einzelnen Ortsvereine z.B. und da erfährt man dann sofort einige Namen. Also die haben damals die Vorstände ganz offen benannt, auch mit Anschriften usw., d.h., wenn jemand in Göppingen wohnt oder in Heilbronn wohnt, und schaut mal im „Syndikalist“ unter Vereinsnachrichten ein bisschen so nach, dann findet er irgendwann vielleicht mal seine Nachbarstraße Nummer sowieso, da hat mal der oder der FAUD- Funktionär gewohnt, der dann und dann im „Syndikalist“ mal aufgeführt wurde, das ist so ganz nah dran. Und zum Zweiten lohnt es sich, natürlich immer mal dort zu gucken, wo man schon viel gefunden hat, und dann noch mal in die Archive zu gehen. Allerdings sind die Archivbestände, die zentralen Lageberichte, also diese Geheimdienstberichte der Polizei damals, die sehr detailliert Aufschluß geben über verschiedenste Bewegungen. Diese Lagerberichte, die sind in Stuttgart zerstört worden durch den 2. Weltkrieg. Da aber die Polizeidirektionen sich damals auch schon ausgetauscht hatten, liegen diese Bestände in Bremen. Das ist natürlich für mich als Bremer dann ganz praktisch gewesen. So konnte ich hier im Bremer Staatsarchiv diese ganzen Lageberichte, die übrigens wöchentlich abgefasst worden sind, durchstudieren und habe da noch mal eine Menge gefunden. Und diese beiden Quellen, die zeitgenössischen Zeitungen und die Archivangaben, die Lageberichte zusammengenommen, die ergeben dann schon mal ein sehr, sehr schönes Rundbild. Und, gut in den Stadtarchiven selber, z.B. Tuttlingen oder Göppingen, da habe ich dann nicht mehr so viel gefunden. Heilbronn habe ich noch ein bisschen was gefunden, aber das war dann nicht mehr so ausschlaggebend.

In der letzten dreiviertel Stunde habt ihr ein Interview mit dem Historiker Helge Döhring gehört. Er ist Autor des Buches „Syndikalismus im Ländle“. Geforscht hat er über die Zeit der Weimarer Republik. Er fand heraus, dass es syndikalistische und anarcho-syndikalistische Gruppen nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Dettenhausen, Reutlingen und Pliezhausen gab, und hat uns über die Arbeit und Probleme der Syndikalisten hier in der Region berichtet.

Musik Ton Stein Scherben: Wenn die Nacht am tiefsten ist…

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