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Helge Döhring

Rudolf Rocker: Biographie (leicht geändert 2006)

Rudolf Rocker wird am 25. März 1873 in Mainz als zweiter Sohn des Notendruckers Georg Philipp Rocker und Anna Margaretha Rocker geboren. Das Familienumfeld ist geprägt vom liberalen Geist der 1848/49-er Revolution. Bereits mit 14 Jahren ist Rudolf Rocker vollwaise und kommt in ein katholisches Erziehungsheim, wo er sehr schnell mit autoritären Strukturen und Verhaltensmustern konfrontiert wird. Er besucht die Volksschule und beginnt eine Buchbinderlehre. Über die Lektüre von Johann Most und Michael Bakunin tritt er der organisierten Arbeiterbewegung bei und wird Mitglied in der sozialdemokratischen Partei. Aus Protest gegen den Zentralismus in der Partei und an der zunehmenden Verspießerung schließt Rocker sich zunächst der Opposition der „Jungen“ innerhalb der Partei an. Auf dem Erfurter Parteitag 1891 schließlich werden zum Anarchismus hin tendierende Strömungen ausgeschlossen, weshalb Rocker gezwungen ist, seine organisatorischen und rednerischen Aktivitäten von der Partei weg zu verlagern, ohne jedoch den Konfrontationen mit dieser aus dem Weg zu gehen. Staatliche Verfolgung zwingt ihn, 1892 nach Frankreich zu emigrieren, wo er sehr schnell Anschluß an die dortige Arbeiterbewegung findet und erste Kontakte zu jüdischen Arbeitern knüpft. Diese Kontakte erleichtern es ihm, sich ab 1895 in London zurechtzufinden und zu wirken. So sehr er auch nach Deutschland zurückkehren möchte, sosehr lehnt er den auf sich zukommenden Militärdienst in Deutschland ab. Wohnhaft im Londoner east end wächst Rocker zur tragenden Figur zunächst innerhalb der jüdischen Londoner Arbeiterbewegung und später der gesamten Londoner und weit darüber hinausgehenden Arbeiterbewegung Englands heran. Dazu befähigen ihn seine außerordentliche Rednergabe, sein Organisations- und Schreibertalent und nicht zuletzt, wie sein Biograph Peter Wienand betont, sei Engagement als Pädagoge. Er ist Mitarbeiter und Redakteur der bedeutendsten Londoner Arbeiterzeitungen, was ihn dazu veranlasst, eigens Jiddisch zu lernen, damit seine Texte nicht durch unzulängliche Übersetzungen Schaden nehmen. Seit 1897 lebt er mit Milly Witkop zusammen und wird mehrfacher Vater. Rocker hat maßgeblichen Anteil am Aufbau der organisierten Arbeiterbewegung und am erfolgreichen Kampf gegen den ausgeprägten Antisemitismus innerhalb der Londoner Arbeiterschaft. Nach 17 Jahren Aufbauarbeit inszenieren die Londoner Textilarbeiter/innen einen großen Streik, dem Solidaritätsstreiks anderer Branchen folgen. Mit letzter Kraft erringen die Arbeiter/innen einige Erfolge. Es gelingt ihnen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und darüber hinaus wichtige Erfahrungen im Klassenkampf zu sammeln. Dieser Streik ist nur deshalb erfolgreich, weil die Arbeiterklasse sich u. a. nicht in Juden und Nichtjuden spalten lässt. Hauptorganisator (Koordinator) dieses Streiks ist Rudolf Rocker als Nichtengländer und Nichtjude. War Rocker schon in regionalen heimatlichen Kreisen um Mainz schnell bekannt geworden, so steigert sein unermüdlicher Einsatz seinen Bekanntheitsgrad über die Landesgrenzen hinaus. Mit Kriegsbeginn 1914 wird Rocker als Ausländer in verschiedene Internierungslager verbracht, wo er nicht weniger als 139 Vorträge hält und überall, wo er Auftritt, sofort zu einer anerkannten Persönlichkeit wird. Da in dem Lager Menschen aus aller Welt untergebracht sind, gelangen die Nachrichten von seiner Persönlichkeit und Aktivität in viele Teile der Welt, was seinen Bekanntheitsgrad nochmals enorm steigert. Gelang es ihm schon, den Antisemitismus innerhalb der Londoner Arbeiterbewegung zu bekämpfen, so erreicht er zumindest eine hohe Akzeptanz seiner Person als Anarcho-Syndikalist u. a auch bei vielen der deutschen Nationalisten in den Lagern, welche durch den Krieg reichlich Nahrung erhalten. Rocker überzeugt auch hier durch außerordentliches Redetalent, Organisationsgabe und Pädagogik. Mit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. kehrt Rocker schon 1918 auf drängende Einladung der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVDG) hin nach Deutschland (Berlin) zurück, um am Neuanfang der anarcho-syndikalistischen Arbeiterbewegung mitzuwirken.

 

Er wird beauftragt, eine Prinzipienerklärung auszuarbeiten, welche auf dem Kongress der FVDG im Dezember 1919 mit leichten Änderungen angenommen wird. Die FVDG benennt sich um in Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) und erreicht bis 1922 reichsweit ca. 150.000 – 180.000 Mitglieder. Rocker wird in die Presskommission gewählt, gibt das FAUD- Organ „Der Syndikalist“ mit heraus (Auflagenhöhe nach Mitgliederzahl) und hält somit engen Kontakt zu den Mitgliedern der Geschäftskommission, darunter Augustin Souchy, Helmut Rüdiger und Fritz Kater. Rocker ist ständiger Redakteur beim „Syndikalist“. Als Gegenstück zur kommunistischen Roten Gewerkschaftsinternationale und zur Kommunistischen Internationale (KomIntern), welche im Begriff sind, die anarchistische Arbeiterbewegung in allen Ländern systematisch zu unterwandern und zu eliminieren, gründen anarcho-syndikalistische Gewerkschaften 1922 in Berlin die Internationale Arbeiter Assoziation (IAA) in der Tradition der Ersten Internationale von 1864. Auch hierbei ist Rocker der Hauptorganisator. Er arbeitet die Statuten aus und wird zusammen mit Augustin Souchy und Alexander Schapiro ins IAA- Sekretariat (Berlin) gewählt und arbeitet dort bis 1933. Berlin inklusive Rockers Wohnung wird zu einem der bedeutendsten Zentren des weltweiten Anarcho-Syndikalismus. Bei ihm verkehren u. a so weltbekannte Flüchtlinge wie Nestor Machno, Buenaventura Durruti und Francisco Ascaso, da Rocker die ganze Zeit über Fluchthilfe organisiert. 1933 flieht Rocker vor den Nationalsozialisten über die Schweiz in die USA. Seine Bekanntheit erleichtert in das Leben im Exil. Hilfe erfolgt vermittels jüdischer Mittelsmänner, z.B. auch von Albert Einstein. Aus Deutschland retten kann er lediglich sein Manuskript für „Die Entscheidung des Abendlandes“ (später: „Nationalismus und Kultur“) – das IAA-Archiv fällt den Nationalsozialisten in die Hände. Votierte Rocker im Verlauf des ersten Weltkrieges noch gegen Kriegseinsätze von jeder Seite und hatte deshalb Streitgespräche mit Peter Kropotkin, so kommt er diesem Urvater des Anarchismus nun gleich und bejaht den Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland. Durch den Spanischen Krieg und den zweiten Weltkrieg versprengt und weitgehend desorganisiert, ist Rocker die wichtigste Anlaufstelle und Kontaktbörse für die Reste der Anarcho-Syndikalistischen Arbeiterbewegung weltweit. Auch in den USA ist Rocker unermüdlich tätig als Verfasser vieler theoretischer Schriften und begehrter Redner, bis er im September 1958 im Alter von 84 Jahren stirbt. Unter seinen zahlreichen Freundschaften befinden sich so bekannte Persönlichkeiten wie Peter Kropotkin, Emma Goldman, Alexander Berkman, Diego abad de Santillan, Max Nettlau oder Erich Mühsam. Er ist Verfasser von Biographien über Max Nettlau, Johann Most und Fritz Kater. Rudolf Rocker steht als Praktiker wie als Theoretiker auf einer Stufe mit Pierre Joseph Proudhon, Michael Bakunin und Peter Kropotkin. Hervorzuheben ist noch sein Engagement gegen faschistische und kommunistische Diktatur gleichermaßen, welche er nicht als Gegensätzlichkeiten definiert, sondern als „auf dem selben Holz gewachsen“.

Aus: H. Döhring: Der Kampf der Kulturen gegen Macht und Staat in der Geschichte der Menschheit, Bremen 2002.

 

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